titel

Startseite
Jahrgänge
1935
Autoren
Stichworte
Neue Seiten

Die Beichte
Ein Brief

LeerAls ich heute an der Pforte der Kirche von Ihnen ging, war mein Mund verschlossen. Ich konnte kein Wort hervorbringen, um Ihnen zu sagen, was diese Stunde für mich bedeutet hat. Jetzt aber, von der Stille der Nacht umfangen, gebe ich mir selbst Rechenschaft, was mir widere fahren ist, und ich meine es Ihnen als einzigen Dank schuldig zu sein, daß ich Sie, meinen Priester und Seelsorger, teilnehmen lasse an dieser Besinnung und Rechenschaft.

LeerIch habe vor Ihnen gebeichtet, und Sie haben mich losgesprochen von meiner Sünde. Noch vor wenigen Jahren hätte ich den Weg dieser Stunde nicht gehen können, und ich meine zu wissen, daß auch Sie selbst mich diesen Weg nicht hätten führen können. Und doch weiß ich in überströmender Dankbarkeit: Eben dies ist es, wonach mich in all diesen Jahren verlangt hat. Aber wie hätte ich wissen können von dem, was diese Stunde mir an Tröstung und Hilfe geschenkt hat. Wer hat uns denn gesagt, daß es wirkliche Beichte gibt, geben kann und geben darf, auch für uns evangelische Christen! Nun ich es weiß, habe ich über den unmittelbaren Segen dieser Stunde hinaus eine ganz neue Liebe zu meiner Kirche gewonnen.

Leer Wir waren gelehrt worden, der Mensch müsse allein fertig werden mit seinen Nöten, und es sei eigentlich etwas wie eine Schande, wenn er in der Unkraft und Ratlosigkeit seiner Seele Rat und Hilfe bei anderen Menscheu sucht, wie es doch in leiblichen Nöten jedem selbstverständlich gegönnt ist. Immer habe ich es als eine grausame Überforderung empfunden, wenn der arme, schwache und sündige Mensch auf sich selber gestellt wird; und ich habe von ferne geahnt, daß der protestantische Stolz, der jede menschliche Vermittlung als eine unbefugte Störung des unmittelbaren Gottesverhältnisses verwirft, eine undankbare Verachtung heilsamer und gütiger Gottesordnung ist. Mehr als einmal habe ich versucht, Rat und Hilfe zu suchen, wie sie uns unsere Pfarrer in Konfirmandenunterricht und Predigt mit allem guten Willen angeboten haben. Lassen Sie mich erzählen, wie es mir erging, als ich das letzte mal in Ihrem Amtszimmer Ihnen gegenüber saß. Ich brauche Ihnen nicht zu wiederholen, welches Vertrauen ich zu Ihnen hege, zu Ihrer tiefen Menschenkenntnis, zu Ihrer geistlichen Erfahrung, auch zu Ihrer Verschwiegenheit. Ich fing an, Ihnen zu erzählen, meine Schwierigkeiten vor Ihnen auszubreiten; ich hatte den redlichen Willen, Ihnen nichts zu verbergen und wollte mich selbst nicht schonen. Sie hatten die Weisheit und die Güte, im rechten Augenblick mir mit Ihrer Frage über einen toten Punkt hinwegzuhelfen. Und dennoch! Als ich hinwegging, fand ich mich in peinlicher Verlegenheit auf dem Weg nach Hause. Ich hatte mehr gesagt, als man ohne Beschämung sagen kann, und wußte doch, daß das Entscheidende weder von mir noch von Ihnen gesagt war. Heute steht klar vor meinem Auge, was jener Stunde mangeln mußte. Sie saßen mir gegenüber an dem runden Tisch Ihres Zimmers, und ich konnte nicht hindern, daß mein Blick immer wieder umherschweifte und beleidigt alles das aufnahm, was um uns her war. Meine Augen glitten entlang an den Reihen Ihrer Bücher, und ich spürte fast körperlich, welche verschiedenen Geister von dort her durch den Raum schweiften. Auf dem Schreibtisch standen die Bilder Ihnen lieber Menschen, und sie waren doch irgend wie Zuschauer und Zuhörer unsres Gesprächs; und - ich muß Sie auch daran erinnern - auf dem Tisch zwischen uns stand der Aschenbecher und verband stumm aber sehr eindringlich unsre Unterredung mit einer Welt, der sie gern entfliehen wollte. In diesem Raum und in der Formlosigkeit unsres Gespräches mußte alle Ihre gütige Hilfsbereitschaft doch im innersten Kern versagen.

Linie

LeerWarum haben Sie mir nicht früher gesagt, daß es eine Beichte, eine wirkliche Beichte, im Raum der Kirche gibt? Aber nein, ich darf keinen Vorwurf erheben, denn vielleicht haben Sie selber um diese entscheidende Form kirchlicher Seelsorge nicht gewußt. Vielleicht auch trugen Sie Bedenken, mir, dessen Scheu vor aller kirchlichen Formenwelt Sie kannten, solches anzusinnen. Ich stehe Sie an, haben Sie mehr Mut, den Menschen zu sagen, daß es Beichte und Absolution gibt! Sie ahnen nicht, wie viele Menschen sich danach sehnen. - Es ist gut, wenn ich vor Ihnen noch einmal ganz schlicht ausspreche, was da geschehen ist. Sie luden mich, statt in Ihre Studierstube, in die Kirche. Sie empfingen mich, als ob Sie empfänden, wie zaghaft ich die Schwelle überschritt, an der Tür des Gotteshauses. Wir schritten miteinander vor den Altar, und hier durfte ich nun sitzen, nicht Ihnen gegenüber, neben Ihnen, doch so, daß mein Auge nicht Sie, sondern nur das Kreuzesbild auf dem Altar sehen konnte, und dort kam - anders kann ich es nicht sagen - wie aus einer unendlichen Ferne und doch unsagbaren Nähe zugleich eine Stimme zu mir: Du bist gekommen, um vor dem heiligen Gott deine Beichte abzulegen; so sprich, mein Bruder. Das war nicht mehr Ihre Stimme, nicht mehr die Stimme eines Menschen; das war die Stimme der gütigen Mutter Kirche selbst, die ihr Kind an ihre Brust nimmt und heimholt in ihre grenzenlose Liebe. Diese Worte haben meine Zunge gelöst; diese Stimme hat aus der Tiefe des trotzigen und verzagten Herzens die Dinge losgerissen, die man zu keinem Menschen, sondern nur noch zu Gott sagen kann. Vielleicht sind Sie sehr erschrocken über das, was ich zu sagen hatte. Ich hatte ja bei allen unseren Gesprächen doch halb unbewußt jene Grenze gewahrt und hatte die letzte und radikale Not vor mir selbst wie vor Ihnen verborgen. Nun habe ich alles gesagt. Ich habe es gesagt vor dem Angesicht dessen, des Augen sind wie Feuerflammen. Es war keine lange Beichte. Die einfältige Wahrheit ist in wenigen Sätzen gesagt. Aber es war mir, wenn ich so sagen darf, als hätte ich zum ersten Mal nicht die störenden Stengel, Blätter und Blüten des Unkrauts beseitigen wollen, sondern die Wurzeln selbst aus dem Grund meines Herzens gerissen.

LeerAls Sie diese Ordnung der Beichte vorher mit mir besprachen, verwunderte und verletzte es mich zunächst, daß hier die sehr übliche Frage fehlen soll: Erkennst du und bereust du deine Sünden? Aber nun, nachdem ich selbst in dieser Lage vor dem Altar gekniet habe, ist mir völlig klar, daß es eben so richtig und notwendig ist. Wie viel stärker als dieses abgebrauchte Ja, in das man die Last eines ganzen Lebens legen müßte, ist es, daß ich Ihnen einfach die Worte eines Psalmverses nachsprechen durfte. Mit jeder einzelnen kurzen Kette von Wörtern war es mir, als dürfte ich mich hier nun ehrlich und demütig einfügen in die unübersehbare Schar derer, die mit eben dieser ihrer Not vor Gott gestanden und mit eben diesen Worten ihre Last vor Gott abgeladen haben. „Gott sei mir gnädig nach Deiner Güte und tilge meine Sünden nach Deiner großen Barmherzigkeit.” Und dann das andere. Sic haben mich erinnert an das Wort des Herrn, in dem er seinen Jüngern die Vollmacht gegeben hat: Welchen ihr die Sünden erlasset, denen sind sie erlassen. Und Sie haben mich gefragt: Glaubest du, daß meine Vergebung Gottes Vergebung ist? Ich brauche mich vor Ihnen nicht zu schämen, wenn mir, wie wohl jedem Protestanten dieses Wort zunächst erstaunlich und anstößig gewesen ist. Und ich bekenne, daß die bloße Belehrung, eben so habe es Luther im Kleinen Katechismus bestimmt, mich doch nicht beruhigen konnte. Aber als Sie vor dem Altar mich so fragten und als Sie dann, in einer unvorstellbaren Höhe über mir dem Knienden stehend und mir doch ganz nahe, als brüderlicher Mensch mir verkündigten: Ich spreche dich los von deiner Sünde, - fielen alle solchen Bedenken als wesenlos dahin. Freilich diese Worte können nur am Altar über Ihre Lippen kommen. Denn hier spricht nicht mehr der geistliche Berater, der Menschenkenner, auch nicht der Theologe, auch nicht der beamtete Pfarrer. Sondern hier spricht der Knecht und Bote Jesu Christi, selbst sehr sichtbar unter dem Kreuz stehend, zu seinem Bruder. Hier spricht die heilige Kirche selbst. Und es ist gut, daß das gesenkte Auge in diesem Augenblick keinen menschlichen Träger dieser Botschaft mehr sieht. Zum ersten mal in meinem Leben glaube ich ganz verstanden zu haben, was Kirche ist. Die Kirche, die Vollmacht hat, ein verbindliches Wort zu sprechen, die Kirche, die wie auch die Reformatoren gesagt haben, das Amt der Schlüssel trägt und die dem ernsthaft beichtenden Menschen gegenüber das königliche Amt hat, die Pforte der Gnade aufzuschließen. Und noch eines: Als Sie Ihre Hände segnend und fürbittend mir auf meinen Kopf legten, da ging von Ihnen aus, oder vielleicht durch Sie hindurch ein Strom überirdischer Kraft, der mein ganzes Sein und Wesen durchdrang, und ich spürte in tiefem Erschauern aller meiner Glieder, daß hier wirklich etwas Ungeheures an mir geschah. Wie ist es möglich, daß unsere Kirche vergessen hat, daß auch das Auflegen der Hände ein sakramentales Geschehen ist? Und wie konnte sie das Geschenk der ganz persönlichen Beichte so sehr vernachlässigen, das mit Luther das Augsburgische Bekenntnis so hoch geschätzt hat und auf keinen Fall preisgeben wollte? Es ist eine Gnade Gottes, daß wir auch hier durch den Protestantismus hindurch zu Luther vordringen durften!

LeerIch weiß, es wäre verkehrt, Ihnen zu danken. Ich kann ja nur mit Ihnen danken, daß es das gibt, daß es Beichte gibt, daß es Kirche gibt, in der ein sündiger Mensch sich bergen, sich ganz eröffnen kann, einen Altar, von dem aus er „hingehen darf mit Frieden”.

Das Gottesjahr 1935, S. 97-100
© Bärenreiter-Verlag Kassel (1935)

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 16-02-10
TOP

Impressum
Haftungsausschluss