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Der heilige Geist
von Alfred Dedo Müller

LeerDie religiöse Lage der Gegenwart läßt uns für die Lehre vom heiligen Geist ein ganz unmittelbar menschliches Verständnis gewinnen. W. Hauer, der Führer der Deutschen Glaubensbewegung, macht dem Christentum die „Einpunktigkeit und Einmaligkeit” seiner Offenbarung zum Vorwurf. Da konzentriere sich alles göttliche Wirken auf einen Punkt der Geschichte. „An dem einem Ort Bethlehem oder Golgatha ist das zentrale Wunder Gottes geschehen in dem einen auserwählten Volk” (Unser Kampf um einen freien deutschen Glauben S. 45). Demgegenüber sucht man eine neue lebendige Begegnung mit Gott in der Natur und, wie Ernst Bergmann sich ausdrückt, im „hohen Menschengeist”. Da kann man nun sagen: eben das ist der Sinn der christlichen Trinitätslehre. Sie will gerade dies zum Ausdruck bringen, daß der in Jesus Christus sich offenbarende Gott sich auch in der Natur und im Menschen offenbare.

LeerVon der Offenbarung Gottes im Menschen redet jedenfalls unzweifelhaft der 3. Artikel. Alles, was er beschreibt, geschieht im Menschen. „Gemeinde der Heiligen, Vergebung der Sünden, Auferstehung des Fleisches, ewiges Leben” - wo soll das sonst geschehen? Alles, was Luther in seiner Erklärung von dem Walten des heiligen Geistes sagt: Berufung, Erleuchtung, Heiligung, Erhaltung des Glaubens - bis hin zur Auferweckung aller Toten und einem ewigen Leben in Christus bezieht sich eindeutig auf den Menschen. Man mag, was hier von dem Walten Gottes gesagt wird, merkwürdig finden. Wer aber leugnen wollte, daß hier vom Walten Gottes im Menschen die Rede ist, der würde dem dritten Artikel allen konkreten Sinn nehmen. Hier ist von der Gegenwärtigkeit Gottes im Menschen die Rede. Also gerade von dem, was der heutige Aufstand gegen das Christentum will. Man mag es als die Schuld unserer Christlichkeit bezeichnen, daß die Offenbarung Gottes im Menschen eine christliche Grundlehre sei, das heißt, die Lehre vom heiligen Geist aus dem Glaubensbekenntnis herausbrechen.

LeerWollen nun bei dieser Lage der Dinge die Lehre vom heiligen Geist und die Deutschgläubigkeit der Gegenwart nicht eigentlich dasselbe? Eben von dieser Frage aus kann uns nun der eigentliche Sinn der christlichen Geistlehre deutlich werden. Ihre ganze Universalität und Bestimmtheit tritt darin hervor, daß hier nicht nur von Geist, sondern von heiligem Geist die Rede ist. Was will damit gesagt sein?

LeerWas meinen wir, wenn wir heute von Geist reden? Das Wort hat zunächst idealistischen Klang. Es mag uns das Wort Schillers vorschweben: „Es ist der Geist, der sich den Körper baut”. Und wir mögen dabei an die Denk-, Gemüts- und Willenskraft des Menschen, besonders großer schöpferischer Persönlichkeiten denken. Es ist überhaupt die Persönlichkeitsidee, wie sie die Blütezeit des deutschen Idealismus etwa in Schiller, Goethe und Wilhelm v. Humboldt geprägt hat, in der ganz wesentlich diese Geistanschauung ihren Ausdruck findet. Diese Auffassung wirkt in der Gegenwart hauptsächlich in der Form weiter, daß sie sich auf die großen Kollektivpersönlichkeiten der Rassen und Seelentümer überträgt. In diesem Sinn kann von der nordischen Rassenseele eine Erneuerung der Kultur und eine Überwindung des Materialismus erwartet werden. Jedenfalls gilt hier „der hohe Menschengeist” wie man es ausgedrückt hat, als „das Göttlichste in dieser Welt”.

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LeerDarüber hinaus haben wir in der Gegenwart aber ein Aufbrechen geistiger Kräfte in der Gestalt des Okkultismus. Man entdeckt hier, so kann man sagen, daß es nicht nur Geist, sondern daß es Geister gibt. Man braucht sich dabei auf die tiefgreifenden Unterschiede, die sich zwischen den verschiedenen okkultistischen Strömungen der Gegenwart zeigen, nicht einzulassen. Darin sind sich alle Richtungen einig, daß ihnen die geistige Welt viel differenzierter erscheint als dem Idealismus. In dieselbe Richtung weist das Wiederaufleben des mythologischen Denkens. So stehen wir zweifellos, so viel literarische Spielerei im einzelnen mitwirken mag, in einem Augenblick des Wiedererwachens der germanischen Mythologie. Die neugermanischen Religionsbildungen der Gegenwart wollen umso erster genommen sein, als darin Erlebnisse der Jugendbewegung weiterwirken. „Die Jugendbewegung ist das unbewußte Sehnen der rein deutschen Jugendseele nach dem verlorenen germanisch-deutschen Gott” heißt eines der dafür charakteristischen Bekenntnisse. „Donner und Balder, Loh und Froh, das sind nur Namen, mit denen das waltende göttliche Geheimnis gemeint war, das der Germane vor allem in sich selbst fühlte” (Frei deutsche Jugend, Jahrg. 4, Heft 4/5).

LeerDie allgemeine Meinung, aus der sich dann in der deutschen Geistes- und Seelengeschichte, im Idealismus und Humanismus so gut wie in der Deutschen Glaubensbewegung der Gegenwart die Abwendung vom Christentum ergeben hat, ist nun die, daß in der Lehre vom heiligen Geist alle diese Zusammenhänge geleugnet seien und an ihre Stelle eine unerträgliche dogmatische Enge getreten sei. Hier muß nun endlich wieder gesehen werden, daß sie gerade aus dem genauesten Wissen um die Welt sowohl des Geistes wie der Geister stammt. Nur wer von Geist und Geistern weiß, kann die Lehre vom heiligen Geist verstehen. Darin eben liegt die Universalität dieser Lehre, nicht, daß sie weniger, sondern daß sie mehr von der Wirklichkeit des Geistes sieht als der durchschnittlichen menschlichen, sei es idealistischen, sei es okkulten Wahrnehmungs- und Erkenntnisfähigkeit zugänglich ist.

LeerDer Blick ist hier nicht flacher und enger, sondern tiefer und weiter. Es läßt sich schlechterdings keine Geistes- oder Geistererfahrung denken, die in der Lehre vom heiligen Geist nicht mitgesehen und mitumfaßt wäre. Man denke doch nur an die Engel- und Dämonenvorstellung der Alten und Neuen Testaments, um eine Vorstellung von der Mannigfaltigkeit der Geistererfahrung der Bibel zu haben und vergegenwärtige sich dann eine Stelle wie Kol. 1, 15 f, wo es von Christus heißt: „Denn durch ihn ist alles geschaffen, was im Himmel und auf Erden ist, das Sichtbare und Unsichtbare, es seien Throne oder Herrschaften oder Fürstentümer oder Obrigkeiten; es ist alles durch ihn und zu ihm geschaffen”. Von was für Geist und Geistern also das Weltall auch durchwaltet sein mag - das Wort Geist kommt in der Lutherbibel noch abgesehen von den Wendungen „Geist Gottes” und „heiliger Geist” beiläufig 400 mal vor! - in Christus haben alle diese tausendfältigen Geistermächte entweder Ursprung oder Ziel.

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LeerMag es sich also um schöpferische oder zerstörerische Geister handeln, um Geister, die das Natur- oder das Seelenreich durchwalten - in Christus enträtselt sich der Sinn dieser unübersehbaren Fülle geistiger Kräfte, in ihm fassen sich alle Machtwirkungen des Geisterreichs zusammen und sind in ihm erfüllt oder überwunden. Denn Gott hat ihn „gesetzt über alle Fürstentümer, Gewalt, Macht, Herrschaft und alles was genannt mag werden, nicht allein in dieser Welt, sondern auch in der zukünftigen und hat alle Dinge unter seine Füße getan” (Eph. 1, 24 ff.). Man muß wirklich einmal gespürt haben, daß man Angst vor der Fülle und Mannigfaltigkeit geistiger Erfahrungen haben kann, um - die ganze (X) Naivität Anfängerhaftigkeit unserer Erfahrungen von diesen Dingen und zugleich die Universalität der Christuserfahrung zu begreifen, in der alle mögliche Geisteserfahrung „zusammengefaßt” sein will.

LeerZur Universalität kommt aber die Bestimmtheit. Universal will der Geistbegriff des Idealismus ja auch sein, aber wie vieldeutig ist er! In Christus und von Christus her organisieren sich gewissermaßen die Geisterheere. Der brodelnde Nebel einer unübersehbaren Gestaltenfülle bekommt Gesicht. Der Sinn dieses Geisternebels wird deutlich. Es tritt ein Für und Wider in Erscheinung. Es tritt eine radikale Durchleuchtung und Entschleierung ein. Und hier zeigt sich erst die ganze Größe der Lehre vom Heiligen Geist. Es ist darin beim Menschen zunächst das Unterscheidungsvermögen für die Geister verliehen. „Ihr Lieben, glaubt nicht einem jeglichen Geist, sondern prüfet die Geister, ob sie von Gott sind” (1. Joh. 4, 1). Daran wird uns die ganze Primitivität der modernen Geisteslehre deutlich. Wir sind schon zufrieden, wenn nur überhaupt von Geist die Rede ist und der Materialismus abgewehrt wird. Aber es gibt Idealismus mannigfaltiger Art, guten und schlechten. Wir sind vollends froh, daß wir in der Gegenwart so weit gekommen sind, uns wieder ehrlich nach Religion zu sehnen und begrüßen alles neue Interesse für die Hintergründe des Lebens.

LeerAber es gibt Religion ganz verschiedener Art, gute und schlechte, aufbauende und zerstörende. In der Lehre vom Heiligen Geist ist uns das Unterscheidungsvermögen für die verschiedenen Wirkungen des Geistes und der Geister für die verschiedenen Idealismen, Okkultismen und Religionen gegeben. Wir sind auf Christus verwiesen, der um alle Möglichkeiten und Vollmachten des Geistes und der Geisterwelt wußte und sie zu sichten und zu bändigen verstand. Ob ein Geist aufbauend wirkt oder zerstörend, das wird uns deutlich an ihm.

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LeerEs mag fraglich sein, ob es heute viele Menschen gibt, die den Maßstab anwenden können, den der Johannesbrief empfiehlt: „Daran sollt ihr den Geist Gottes erkennen: ein jeglicher Geist, der da bekennt, daß Jesus Christus in das Fleisch gekommen, der ist von Gott” (1. Joh. 4, 2). Denn wieviel Menschen gibt es heute, die schon wieder soviel Geisterfahrung haben, daß sie echtes und unechtes Bekennen voneinander unterscheiden könnten. Aber die Regel des Paulus kann jeder anwenden: „Die Frucht des Geistes ist Liebe, Freude, Friede, Freundlichkeit, Gütigkeit, Glaube, Sanftmut, Keuschheit” (Gal. 5, 22). Das ist die entscheidende Hilfe für jede Art von Geisterbegegnung und Geisterbeurteilung.

LeerVon da aus wird dann auch das Letzte verständlich, was uns in der Lehre vom Heiligen Geist zugesagt ist. Das Bekenntnis redet von der Auferstehung des Fleisches, also der Überwindung des Todes durch den Heiligen Geist. „Macht die Kranken gesund, reinigt die Aussätzigen, weckt die Toten auf, treibt die Teufel aus”, heißt es in der Aussendungsrede (Matth. 10, 8). Es ist kein Zweifel, daß Jesus seine Jünger auch mit der Herrschervollmacht über die geistige Welt und ihre Mächte ausrüsten wollte, die er selbst besaß. Hier eröffnen sich Aussichten, die wir noch kaum ahnen können.

LeerSo viel aber ist deutlich, daß danach das Schicksal der Welt am Ausgang eines Kampfes geistiger Mächte hängt - so wie schon unser Leib Dämonenwohnstätte oder Tempel des Heiligen Geistes ist (1. Kor. 6, 19). In diesen Kampf sind wir alle verwickelt, ob wir es wissen oder nicht. Unser Schicksal hängt lediglich daran, ob wir uns richtig entscheiden. Unser Heil hängt daran, daß wir uns unter die Fahne Christe stellen, der zuletzt der Sieg sicher ist. Wirkliche Lebensvollmacht gibt es nur unter dieser Fahne. Weder der Geist des Menschen, und steigere er sich bis an die äußerste Grenze seiner Kraft, noch die Vollmachten der Geisterwelt können der Welt einen letztlich befreienden Sinn und Inhalt geben. Das Heil kommt vom Heiligen Geist, nicht vom „Geist” und nicht von den Geistern. Die wahre Größe des Menschen liegt darin, daß er „in dem Herrn und in der Macht seiner Stärke” stark zu werden vermag. Hier eröffnet sich der Weg in einen Heroismus, der nicht wie der der germanischen Mythologie zuletzt trotz alles Aufgebots edelster Kräfte in Resignation endigen muß. So steht hier am Ende aller menschlichen Möglichkeiten ein ganz heroischer, wahrhaft befreiender Anfang. „Wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern mit Fürsten und Gewaltigen, nämlich mit den Herren der Welt, die in der Finsternis dieser Welt herrschen, mit den bösen Geistern unter dem Himmel. Um deswillen ergreifet den Harnisch Gottes” (Eph. 6, 12 f).

Das Gottesjahr 1935, S. 34-38
© Bärenreiter-Verlag zu Kassel

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-15
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