titel

Startseite
Jahrgänge
1935
Autoren
Stichworte
Neue Seiten

Der dritte Glaubensartikel
von Wilhelm Thomas

LeerDas Bekenntnis zur Kirche steht im Katechismus innerhalb des Abschnittes, den wir den dritten Glaubensartikel zu nennen gewohnt sind und der die Überschrift „Von der Heiligung” trägt.

LeerAlles was die Christenheit zu bekennen hat, kreist um das eine Bekenntnis zu Christus. So ist von der Schöpfung nur kurz und knapp als Voraussetzung des Christus-Bekenntnisses gesagt: „Ich glaube an Gott, den Allmächtigen, Schöpfer Himmels und der Erden.” So sind im dritten Artikel nur einige entscheidende wichtige Auswirkungen der Christus-Tatsache genannt, ursprünglich auch in aller knappster Form: „Und an den Heiligen Geist, die heilige Kirche, Sündenvergebung und Fleisches Auferstehung.” Wenn wir an die Geschlossenheit des ersten wie des zweiten Artikels denken, so erscheint uns der dritte unwillkürlich als eine Art Anhang, in dem alles zusammengefaßt wird, was übrig geblieben ist. Wenn wir aber dann von uns aus eine einheitliche Überschrift darüberzusetzen hätten, würden wir vielleicht sagen: „Von der neuen Schöpfung”; denn im Grunde werden eben doch eigentlich nicht verschiedene Dinge nebeneinander aufgezählt, sondern es wird ein Bereich abgegrenzt und umschrieben, der ähnlich geschlossen vor uns steht wie „Himmel und Erde” im ersten Artikel: das Reich der Kirche, das Reich der Sündenvergebung, das Reich der Auferstehung und des Lebens, das ist allemal ein und dasselbe, gehört im eigentlichen Sinne nicht zu den Dingen „zwischen Himmel und Erde” und wird doch bekannt als eine Wirklichkeit, die Himmel und Erde erfüllt und überwindet.

LeerDas Reich des Geistes: damit ist schon etwas gesagt von der Überlegenheit über das naturhafte Sein der ersten Schöpfung, über die Schranken des Raumes und die Schwere der Körperwelt. Das Reich der Kirche: damit ist etwas gesagt über die Begrenztheit dieses Reiches durch seine Bindung an das einmalige Schicksal Christi, über seine Geschichtlichkeit im strengen Sinn im Gegensatz zu aller Natur. Das Reich der Vergebung: damit ist etwas gesagt über seine Bezogenheit auf das Geschöpf, das um Gut und Böse weiß, den gefallenen Menschen als den, um dessentwillen Christus gekommen ist. Das Reich der Auferstehung und des Lebens: damit ist dieses Reich am allermeisten in Gegensatz gebracht zur alten Schöpfung, die erst tot und zu ende sein muß, ehe die neue Schöpfung unverhüllt und offen da sein kann. Der Weg aber von der Gründung der Kirche durch die Ausgießung des Geistes bis zur Auferstehung des Lebens mag mit dem alten Wort Heiligung genannt werden, wenn anders heilig alles ist, was sich aus der gefallenen Welt herauswindet hinein in den Bereich der anderen, in Gottes Gehorsam zurückgekehrten neuen Schöpfung.

Linie

LeerRedet das Wort vom Heiligen Geist von dem Ursprung dieses Reiches, das Wort der Auferstehung von seiner Vollendung, so steht im Mittelpunkt das kühne und doch so schmerzhafte Wort von der Kirche, von der Schar der Herausgerufenen, die noch ganz und gar in der alten Schöpfung stehen müssen und doch ausschließlich um ihrer Zugehörigkeit zur neuen Schöpfung willen ihren Namen tragen. Darum weil wir nicht am Zielpunkt der Auferstehung stehen, darum empfinden wir das Wort von der Kirche so recht als den Kern und Angelpunkt des ganzen Artikels. Es heißt ursprünglich ganz schlicht „eine heilige Kirche”. Dann aber wird das Wort ergänzt: eine heilige katholische apostolische Kirche.

LeerEs ist als wollte man die Ausdehnung der Kirche abstecken: in die Tiefe gehend dringt man vor bis zu den Aposteln, in die Breite gehend stellt man fest, daß die Kirche „über die ganze Erde hin” sich erstrecke, allumfassend, allkirchlich sei. Wir spüren hier den aufgehobenen Warnungsfinger: Halte das nicht für Kirche, was sich absondert und vereinzelt, den Zusammenhang mit seinem gottgewirkten Ursprung verleugnet oder den brüderlichen Zusammenhalt mit dem Leben ringsum in der Christenheit verliert. Es ist also mit dem Heiligen Geist als dem Ursprung der Kirche nicht jenes flackernde Feuer schwärmerischer Originalität gemeint, das immer wieder neue Bereiche angeblicher Heiligkeit und Gottgefälligkeit unter den Menschen schafft, sondern ein Herdfeuer, das einmal gestiftet, nicht wieder verlöschen darf und unter aller Asche irdischer Hinfälligkeit und Todverfallenheit zusammengehalten wird bis zu dem Ende der Dinge.

LeerAufs engste zusammengehörig mit dem Wort von der Kirche scheinen uns die beiden Worte von der Gemeinschaft der Heiligen und der Vergebung der Sünden. Communio Sanctorum: das heißt vielleicht ursprünglich: Gemeinschaft am Heiligtum, gemeinsames Teilhaben an den heiligen Gütern der Kirche, an Wort und Sakrament: dann ist „Vergebung der Sünden” nur das Wichtigste unter diesen heiligen Gütern, die in der Taufe erstmals gespendete Losmachung von Sünde und Schuld. Jedenfalls ist Vergebung der Sünden hier an den Raum der Kirche gebunden, so, daß Luther in der Auslegung sagen muß: „In welcher Christenheit er mir und allen Gläubigen täglich alle Sünden reichlich vergibt.”

LeerDie Sündenvergebung ist kein mystisches Geschehen in einsamen Zwiegespräch zwischen Gott und der Seele oder Christus und der Seele, sondern eine Tat Gottes in diesem geheiligten, d. h. ausgesondertem Raum des von den Sakramenten umzäunten, aus Christus quellenden Lebens der Kirche, das eigentliche Wunder des Wortes, das aus beauftragtem, apostolisch beauftragtem Mund mir und Dir die Wiedereinsetzung in den Stand der Gnade zusagt. Dieses Reich der apostolisch gegründeten Kirche, darinnen wir teilhaben an den heiligen, heilsamen Gütern der Schuldvergebung und des neuen Lebens, das ist die jetzige, heutige Wirklichkeit der neuen Schöpfung. Es ist ein Zwischenzustand zwischen Pfingsten und dem jüngsten Tage, mitten inne zwischen heiligem Geist und heiliger Leiblichkeit („Auferstehung des Fleisches”), beides geheimnisvoll umschließend in Treue gegen seinen Ursprung und geduldiger Hoffnung seiner Vollendung.

Das Gottesjahr 1935, S. 24-26
© Bärenreiter-Verlag zu Kassel

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-15
TOP

Impressum
Haftungsausschluss