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von Henny Hartwig |
Den siebenten Tag der Woche hat Gott gesegnet und geheiligt, auf daß auch wir ihn heiligen und als den gesegneten Tag der Auferstehung feiern. Heiligung ist Bewegung, Bewegung zur Mitte, zur Mitte unseres Seins, da unser Leben mit Gott webt. Dahin wollen wir versuchen, unsern Sonntag zu stellen, damit er von da Licht und Ausrichtung und den Glanz des Feiertags bekommt. Oft wird unsere ganze, ungeteilte Bereitschaft verlangt, um uns von unserem Alltagswerk zu trennen. Es kommt wohl nicht so sehr darauf an, was wir am Sonntag tun. Ein Spaziergang kann nichts Feiertägliches an sich haben, wenn unser Herz sich nicht von den Alltagssorgen löst. Geistige Arbeit kann zum entheiligenden Alltagswerk werden, wenn unsere Gedanken die tägliche Berufsstraße ziehen. Den Alltag regieren Tempo und Nützlichkeitserwägungen, die am Sonntag schweigen dürfen, denn unsere Zeit gehört Gott. Hier darf alles zu seinem Recht kommen, was unser Herz im tiefsten ersehnt, das müde, fordernde, oft kaum gefragte und doch so gründliche Herz, - und uns dazu helfen, Gott eine Wohnstätte zu bereiten, um neues Leben zu empfangen. Am liebsten werden uns alle Beschäftigungen sein, die uns in die Stille führen, zu Prüfung und Ausblick als dem Ursinn des Sonntags. Luther legt uns ans Herz, am Sonntag Gottes Wort zu lesen, zu lieben und zu lernen. Alles rechte Lesen orientiert sich wohl überhaupt am Lesen der Bibel. Wenn wir wieder lernen, die Bibel recht zu lesen, werden wir der Not der Entleerung des gedruckten und geschriebenen Wortes steuern. Die Bibel war die Sonntagslektüre unserer Väter. Sie lasen sie im Zusammenhang und in großen Zügen. Das bestätigen uns die Eintragungen, die wir des öfteren in alten Bibeln finden. In einer Bibel ist durch Anfangs- und Enddaten belegt, daß der Inhaber sie siebenmal vollständig und hintereinander gelesen hat; in einer anderen ist das Schlußdatum der vierten Lesung nicht ausgefüllt, statt dessen steht da der Todestag des Besitzers. Und wenn wir uns die Gesichter der Menschen ansehen, die so treue und gewissenhafte Bibelleser waren, deren Antlitz nicht von den Spuren der Entleerung gezeichnet ist, wünschten wir uns manch einen davon als Freund oder Arbeitskameraden. Es liegt viel Segen auf solch treuem Gehorsam. Das erfahren die, welche versuchen, ihnen nachzutun, und dann eines Tages eine ähnliche bescheidene Eintragung in ihre Bibel machen dürfen. Unser Sonntag ist oft kurz; eine kleine Zeit der Stille steht uns manchmal nur zur Verfügung, wenn Vertretungen für Berufsgenossen oder Hausangestellte übernommen werden müssen, oder uns Hausfrauen Krankheiten der Kinder nicht zur Ruhe kommen lassen. Da sollten wir erprobte Freunde, wie einen Band Hölderlin-Gedichte, Rilkesche Verse, den Parzival oder die Divina Comedia immer sicher zur Hand haben. Sie sind wie Stangenmarkierungen auf dem Gebirgskamm: trotz Wetter und Unsichtigkeit bringen sie uns in kurzer Zeit sicher zum Ziel und schließen uns ein in den Strom unvergänglichen Wesens. Bei der Auswahl unserer Sonntagsbücher verlassen wir uns gern auf die Ratschläge unseres Seelsorgers, der hier vielleicht eine Möglichkeit begrüßt, mit unvermerkter Hand zu lenken, auszugleichen und anzuregen. Sind wir nicht in der glücklichen Lage, um einen solchen zu wissen, können uns die Buchbesprechungen in den „Evangelischen Jahresbriefen” oder anderen ernsten Zeitschriften wertvolle Hilfe bieten, um der Gefahr des planlosen Lesens zu entgehen. Diese Gefahr ist besonders groß, wenn wir einen langen, vielleicht einsamen Sonntag zur Verfügung haben. Bücher können tiefgreifende Wirkungen - verhängnisvolle und segensreiche - auf uns ausüben, wenn wir uns ihnen intensiv und für große Zeiträume überlassen. Da gilt es, sich harte Beschränkungen aufzuerlegen und den Rahmen des Inhalts möglichst eng zu halten, zumal in Zeiten innerer Unsicherheit. Sonst kann aus einem Sich-sammeln ein Sich-verlieren werden und aus einer stillen Feier eine Unruhe stiftende Zerstreuung. Ich habe einmal beinahe sieben Jahre keinen noch so guten Roman zur Hand genommen und doch unendlich viel gelesen, als mir eine sehr liebe Arbeit plötzlich von außen her genommen wurde und ich nun glaubte, mit leeren Händen dazustehen. Zuerst las ich fast nur die Bibel mit den Hilfsbüchern des Alten und Neuen Testamentes. Es fing damit an, daß ich auf den Boden ging und aus einer Bücherkiste meines Mannes eine griechische Grammatik hervorzog, mit der ich mich Sonntag für Sonntag getreulich beschäftigte, bis ich einen einfachen Johannes-Text übersetzen konnte. Je treuer wir im kleinsten sind, desto wesentlicher wird unser Bemühen. Und dann wird es einem ganz unvermutet geschenkt, daß sich bestimmte Fragenkomplexe zusammenballen, von denen uns dunkel schwant, daß sie irgendwie in geheimem Zusammenhang stehen mit ungelösten, unerlösten oder auch ganz positiven Seiten unseres Wesens. Das ist dann wie ein Hauptweg in dem erst weglos aussehenden, dunkeln Wald unserer metaphysischen Existenz. Von da zweigen Seitenwege ab, an denen wir eines Tages eine ganz persönliche Einstiegstelle finden in eine kleine, uns gehörende geistige - so Gott will - geistliche Welt, die uns zu einem Zufluchtsort und einem Gegengewicht wird gegen das Getriebe des Alltags und uns hilft, Gott vollkommener zu lieben und würdiger zu loben. Sehr heilsam kann es uns werden, daß uns durch die Einwirkungen des Krieges oder andere wirtschaftliche Beschränkungen nicht mehr alle Bücher ohne weiteres erreichbar sind. Wir werden hin und wieder in die Lage kommen, sie von Freunden zu entleihen, und dabei ein Band mit gleichgesinnten Menschen knüpfen. Dabei kann es uns Protestanten gar nichts schaden, wenn wir gezwungen werden, unser geistliches Leben gelegentlich ein wenig zu entschleiern. Geschieht es uns dann, daß Bücher unserm Herzen und Empfinden Besonderes zu sagen haben, möchten wir uns nicht wieder ganz von ihnen trennen. Auch weiß gewiß jeder von uns um Bücher, nach deren Lesen wir das Gefühl hatten, als könnten wir nun nie wieder ganz unglücklich werden. Von solchen Büchern Auszüge zu machen, ist uns geradezu Herzensbedürfnis. Wir tragen sie wohl in ein besonderes, dazu bestimmtes Buch ein und verweilen dabei lieber längere Zeit, anstatt ein neues Buch anzufangen, von dem ungewiß ist, ob es uns etwas bedeuten wird. Solche Aufzeichnungen nehmen wir später oft zur Hand, manchmal bleiben wir lange Lebensjahre mit ihnen verbunden. Oder wir entfernen uns und kehren erst nach längerem Umweg zurück, wenn auch mitunter nur, um sie mit Dankbarkeit und Ehrlichkeit zu betrachten als vertraute Meilensteine auf dem inneren Weg unserer irdischen Pilgerfahrt. Noch auf andere Art kann uns ein Wort lieb und unverlierbar werden: indem wir versuchen, es zu schreiben. Wer das „Kleine Schreibbüchlein” von Rudolf Koch zur Hand nimmt, wird schnell eine Liebe zur künstlerischen Schrift entdecken. In verhältnismäßig kurzer Zeit schon können wir etwa in gotischer Schrift ein Wort oder einen längeren Text gestalten, und wir werden erstaunliche Erfahrungen dabei machen. Davon gäbe es viel zu berichten! Wie der Inhalt schwieriger Worte sich uns neu oder überhaupt erst erschließt, und wie ein Text anfängt, uns auf ganz seltsame Weise wirklich zu gehören. Wie unser inneres Ohr empfindlich und wachsam wird für edlen Stil und echtes Gefühl. Besonders bei längeren Texten kommt es vor, daß sich die Feder geradezu sträubt gegen Plattheiten des Ausdrucks, die wir beim Lesen glatt übergangen hätten. Solches Schreiben ist eine gute Erziehung der eigenen Schrift, die den inneren Menschen miterzieht. Hier können unsere halberwachsenen Kinder schon mittun, und sie tun es meistens mit großer Freude, in dem sicheren Gefühl, daß aus dieser Beschäftigung feiertägliche Stunden werden. Manches Bibelwort haben wir so sorgfältig und schön geschrieben. Die Initialen oder Randleisten verzierten wir mit kleinen Blumen, die wir an heißen Sommersonntagen draußen vor der Stadt auf unserer Liegewiese fanden, und von denen wir an Ort und Stelle leichte, farbige Zeichnungen in einem Büchlein zusammentrugen. Nun dienen sie uns zum Lobe Gottes. Wir brauchen nicht zu fürchten, daß die Kinder davon wenig verstehen, in jedem Lebensjahrzehnt sagen sie dem Beschauer gerade das, was ihm dient. Das Hineingenommensein in das heitere, alltagsferne Gespräch ist für sie schon eine Feier. Dabei macht es uns alle gleichermaßen glücklich, hier in eine Welt eintauchen zu dürfen, in der das Leben mit Gott nicht in den armseligen Bezirk weniger Minuten zusammengedrängt ist, wie in unserem säkularisierten Alltag, sondern den ganzen Menschen umfängt. Je älter wir werden, desto lieber werden uns solche Stunden, und wie freuen sich unsere armen Augen, einmal schauen zu dürfen, die wir sonst beinahe nur noch zum Lesen und Schreiben benutzen. Einfallstore der Seele sollen sie sein und unser Inneres muß aufnehmen, was sie uns vermitteln. Wenn wir das doch immer mit rechtem Ernst bedächten! Wieviel nutzlose Lektüre, wieviel unschöne, belanglose Bilder würden dann aus unserem Sonntag verbannt bleiben! Wieviel Zeit würden wir gewinnen für Wesentliches, das uns helfen könnte, unsern Alltag und den unserer Mitmenschen zu tragen und zu erhellen. Die Woche ist die Probe auf den Sonntag; wenn wir mit unserem Wochentag nicht zurechtkommen, tun wir gut daran, unsern Sonntag zu prüfen, was da zu ändern und zu bessern sei. Hier stehen wir in der Mitverantwortung für viele christliche Brüder und Schwestern. Ich kenne wertvolle, meinem Herzen teure Menschen, die ihr Leben fröhlich auf die Auferstehung des Herrn wagen, die sich aber nicht entschließen können, Gott zuzutrauen, daß Er der Herr ist über unsere Zeit und auch unser Alltagswerk zurechtbringen wird, selbst wenn wir unsere drückenden Arbeitsberge am Sonntag ganz einfach einmal ruhen lassen. Da gehört es wohl zu unserem Dienst, daß wir uns um den rechten Weg mühen, um ihnen voranzugehen, nicht aus eigener Kraft, sondern auf Seine Hilfe vertrauend, ernst und mit ganzer Demut: „nicht daß ich's schon ergriffen hätte oder schon vollkommen sei; ich jage ihm aber nach, ob ich's auch ergreifen möchte, nachdem ich von Christo Jesu ergriffen bin”. Das Gottesjahr 1951 (1942), S. 116-121 © Johannes Stauda-Verlag zu Kassel (1951) |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 12-12-07 |