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Der Rhythmus der Tage
von Otto Heinrich von der Gablentz

1. Die Woche

LeerD a s  W i r k e n  d e s  M e n s c h e n  z ä h l t  n a c h  T a g e n . Es richtet sich aus nach der Sonne. Vom Morgen bis zum Abend geht die Arbeit des Bauern. Auch wo künstliches Licht zur Verfügung steht, wo die Arbeit nicht mit Tieren und Pflanzen zu tun hat, die sich auch nach dem Licht richten, empfinden wir es als ungesund, wenn die Arbeit in die Abend- und Nachtstunden verlegt wird, wir ordnen die Tage nach dem Lauf der Sonne am Himmel. In unseren Breiten - in denen die großen Kulturen der Menschheit entstanden - gliedert sich das Sonnenjahr deutlich nach den vier Jahreszeiten, wenn wir aber die Gliederung verfeinern, jeder Jahreszeit drei kleinere Zeiträume zuteilen, dann benützen wir einen anderen Einteilungsgrund: wir verbinden die Tages- und Jahresrechnung nach der Sonne mit der Nacht- und Monatsrechnung nach dem Mond.

LeerD i e  u n b e w u ß t e  E r n e u e r u n g  d e s  L e b e n s  z ä h l t  n a c h  N ä c h t e n . Es sind die Zeiten, in denen das Leben stille hält, in denen der Mensch etwas an sich geschehen läßt. Diese Zeiten bilden sich wie die Tage der Schöpfungsgeschichte „aus Abend und Morgen”. Die Nacht ist die Zeit der Versenkung, des pflanzenhaften Wachsens; die weibliche Seite des Lebens bestimmt in der Nacht. Auch die Nächte sind verschieden. Die Planeten wandeln ihre Wege in regelmäßigem Wechsel. Aber von ihnen weiß nur, wer sie aufmerksam beobachtet, oder wer ganz tief im kosmischen Rhythmus eingebettet ist. was aber jeder sieht, was den Nächten deutlich ihren Charakter verleiht, das ist der Mond und sein Wechsel in den vier Gestalten: Vollmond und Neumond, zunehmender und abnehmender Mond. So rechnen wir nach Monaten und teilen den Monat in die vier „Wechsel”, wehha, wie die alten Deutschen sagten, Wochen, wie wir es nennen.

LeerSonnen- und Mondlauf miteinander in Einklang zu bringen zu einer einheitlichen Zeitrechnung, ist eine der ältesten Aufgaben, an denen menschliche Wissenschaft erwachsen ist. Die verschiedenen Lösungen der Aufgabe sind sehr aufschlußreich für die Eigenart der Völker. Das chinesische Volk z. B., ganz erdverhaftet, läßt sich vom Mond bestimmen (1) Die Anpassung der Monate an das Sonnenjahr erfolgt durch Einschaltung von ganzen Monaten (7 Schaltmonaten in 19jährigem Cyklus), während wir jeden Monat mit Ausnahme des Februar über seine natürliche Länge von 29 1/2 Tagen hinaus verlängern und in vierjährigem Rhythmus einzelne Schalttage einfügen. Damit erreichen es die Chinesen, daß die Monate ungefähr dem wirklichen Wechsel der Mondphasen entsprechen, und daß die 15tägigen Perioden, in die das Jahr weiterhin eingeteilt ist, einen brauchbaren Maßstab für alle landwirtschaftlichen Verrichtungen abgeben, weil sie sich dem Rhythmus des Wetters, wie es sich nach Sonne und Mond zugleich richtet, schmiegsam anpassen.

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LeerDiese genaue Übereinstimmung zwischen dem kosmischen und dem sozialen Rhythmus haben wir verloren. Wir haben dafür versucht, einen nicht identischen, aber entsprechenden Rhythmus zu finden durch Unterteilung des Monats in vier 7tägige Zeiten, die in sich nach den sieben Planeten geordnet sind. Auch hinter den Götternamen, die in den germanischen Sprachen noch heute meistens verwendet werden, stehen die gleichen geistigen Kräfte, die sich die Antike in den Göttern überall wirksam und zugleich in den Planeten lokalisiert dachte. So gehören zusammen:

SonntagSonne
MontagMond
DienstagMars - Ziu
MittwochMerkur - Wodan (Wednesday)
Donnerstag         Jupiter - Donar
FreitagVenus - Freya
SonnabendSaturn.

LeerDie Reihenfolge, in der die einzelnen Tage den Planeten zugeordnet sind, erscheint zunächst rätselhaft, weder astronomisch aus Größe und Sonnenentfernung noch astrologisch aus den Beziehungen der Planeten zu den 4 Reichen des Kosmos und den 3 Gestalten der Gottheit zu verstehen. Vielleicht findet man einmal eine Lösung in den musikalischen Beziehungen der Umlaufszeiten zueinander, in der Keplerschen Sphärenharmonie; vielleicht ist die Zuordnung wirklich willkürlich, wichtig ist für uns, daß ein regelmäßiger Wechsel im geistigen Gehalt der Tage waltet, und daß ein Tag aus dem Rhythmus herausspringt: 6 Planeten regieren die Nächte, die Sonne strahlt am Tage. Es ist also nicht nur der kirchliche Gebrauch, der den Sonntag zum Osterfest in Beziehung setzt. Sondern auch die Rolle der beiden Tage ist verwandt: sie sind beide Brücken zwischen Sonnen- und Mondjahr. So wie die Berechnung des Ostertages nach dem Vollmond uns immer wieder im Sonnenjahr an den Mondwechsel erinnert, so durchbricht der Sonntag die Zählung des Monats nach sternenbeherrschten Nächten.

LeerDer Sonntag ist der Festtag, nicht der Ruhetag, Er ist das Zeichen des ersten Tages, an dem Gott sprach: Es werde Licht! und es ward Licht. Er ist der Freude geweiht, dem Lobe Gottes, dem Dank an den Vater, was der Mensch an ihm tut, soll in diesem Zeichen stehen.

LeerDer Montag ist der Tag, an dem das rhythmische, pflanzenhaft sich erneuernde Leben uns besonders deutlich wird, da „des Dienstes ewig gleichgestellte Uhr” uns schlägt, da „aufs neue beginnt die Arbeit der Woche mit ihren Mühen und Sorgen”, wie es im „Stundengebet” heißt.

LeerAm Dienstag werden wir inne, daß wir im Kampf stehen, und bemühen uns, recht zu kämpfen.

LeerAn den beiden mittleren Tagen in der Woche wenden wir uns den Menschen zu, dem einzelnen Nächsten und den Gemeinschaften in Volk und Kirche.

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LeerDabei entspricht die Bedeutung, die unsere Wochenordnung im Anschluß an die kirchliche Überlieferung dem Donnerstag zuspricht, durchaus der vorchristlichen Ordnung, die diesen Tag dem Volksgott Jupiter, dem Bauerngott Thor weiht.

LeerAuch für den Mittwoch läßt sich die Parallele sehen, wenn wir bedenken, daß Merkur und Wodan die „Entrücker” sind, die zur geistigen Persönlichkeit des Menschen eine Beziehung haben, die ihn herausheben aus der Gemeinschaft in Heldentat, Begeisterung oder Tod. (2)

LeerDer Freitag ist der Tag Christi. Die historische Tatsache, daß der Herr am Karfreitag gekreuzigt ist, prägt den Tag um. Er ist für uns der Tag des Opfers. Mir scheint allerdings, daß es sehr einseitig ist, ihn deswegen zum Tag der Trauer zu stempeln. Wir sollten das Bild unserer Lieder ernst nehmen, daß Christus der Morgenstern ist. So wie der Venusstern ein Sinnbild der himmlischen Liebe ist, sollte uns der Freitag nicht nur an das Todesopfer des Herrn erinnern, sondern noch mehr in uns die Kraft der Liebe erwecken, die Ihn den Tod auf sich nehmen ließ.

LeerWenn der Freitag durch die geschichtliche Erinnerung einen düsteren Ton erhält, so wird umgekehrt der Sonnabend aufgehellt. Es ist der Tag der Besinnung, der Einkehr in die Tiefen, in denen Saturn herrscht; aber die Einkehr bekommt den tröstlichen Zug der Vorbereitung auf den Tag des Herrn, den Tag der Auferstehung. So wächst uns aus dem Erleben der gegliederten Woche ein neues Verständnis des Sonntags.


2. Der Sonntag im Berufsleben

LeerSonntag und Sabbat sind etwas Grundverschiedenes. Der Sonntag ist Feiertag, der Sabbat ist Ruhetag. Das führt in der gesellschaftlichen Ordnung zu ähnlichen Ergebnissen: während der Feierstunde muß die Arbeit auch ruhen, umgekehrt bietet die Arbeitsruhe auch Zeit zum Feiern. Aber der Unterschied bleibt. Sonntagsruhe ist eine Forderung der Sozialpolitik, geboten durch Nächstenliebe wie durch Klugheit. Der Mensch  m u ß  nicht arbeiten. Sabbatruhe ist gesetzliche Askese. Der Mensch  d a r f  nicht arbeiten. Der deutsche Sonntag ist fröhlich und entartet zum ausgelassenen Betrieb. Der englische Sonntag - bestimmt durch den alttestamentlichen Einschlag des Kalvinismus - ist streng und entartet zur drückenden Langeweile.

LeerFür den Bauern gibt es Ruhenächte und Ruhezeiten, keine Ruhetage. Das Vieh muß jeden Tag gefüttert, gesäubert, gemolken werben. Die Feldarbeit richtet sich nach Sonne und Regen, nach Wachstum und Reife der Früchte. Es ist nur ein Teil der Arbeit, der nach menschlicher Willkür angesetzt und unterlassen werden kann. Einhaltung von Feierstunden und Gottesdiensten ist für den Bauern eine Sache der Sitte, oft mehr ein Gebot des Familienlebens und der Dorfgemeinschaft als der Religion.

LeerFür den Handwerker und für die anderen städtischen Berufe war es naheliegend, die Ruhezeiten, die sich hier nicht aus dem Rhythmus der Natur ergeben, auf den Sonntag zu legen. Hinzu kommt, daß in der Stadt der Einfluß der Kirche, soweit er durch die Lehre auf das Bewußtsein ausgeübt wird, immer stärker ist als auf dem Lande, daß die Kirchenlehre oft Sonntag und Sabbat verwechselte, und daß der Handwerker dem Stil seines Lebens nach zu einer persönlichen, pietistischen Frömmigkeit neigt.

LeerZu einem sozialen Problem wurde die Sonntagsruhe in der industriellen Gesellschaft für die beiden neuen Schichten: den Arbeiter und den - nicht mehr zur Familiengemeinschaft des Prinzipals gehörenden - „Handlungsgehilfen”. Bisher hatte man nur unterschieden zwischen den  T a g e n , die dem  M e n s c h e n  gehören, und dem  T a g e  des  H e r r n . Jetzt mußte aus der Reihe der  T a g e , die  a n d e r e n  M e n s c h e n  g e h ö r e n , der eine  T a g  gesichert werden, den auch  d e r  A b h ä n g i g e   f ü r  s i c h  selber hat.

LeerArbeiter und Angestellte haben mit Hilfe des Staates mit der Zeit ihre Sonntagsruhe erkämpft. Die Gegnerschaft stammt nur zum Teil aus der Profitgier des Unternehmers, der auf keine gewinnbringende Arbeitsstunde verzichten wollte. Wohl noch stärker waren die Unfähigkeit, sich in die Lage eines abhängigen Menschen überhaupt hineinzudenken, die Bequemlichkeit, die auf persönliche Dienste und auf die jeweilige Verfügbarkeit des Kaufmanns nicht verzichten mochte, die zum Teil recht ernsthaften technischen Bedenken gegen die Unterbrechung kontinuierlicher Arbeiten in Industrie und Verkehr. Je mehr auch die früher „freien” Berufe in den Lebensrhythmus des Arbeiters gerieten, d. h. darauf angewiesen waren, sich in Zeit und Intensität der Arbeit nach anderen zu richten, um so stärker trat das Bedürfnis auf, ebenfalls feste Ruhetage zu haben. So ist in den Städten heute auch bei den Ärzten Sonntagsruhe und Sonntagsdienst in Vertretung der Kollegen eingerichtet worden.

LeerTechnische Schwierigkeiten ergaben sich in der Industrie z. B. bei Kraftwerken, Hochöfen, kontinuierlichen Chemiebetrieben. Hier hat man die ständige Sonntagsarbeit durch Schichtwechsel zu umgehen gewußt. Der Arbeiter z. B., der um 6 Uhr seine Schicht verläßt, tritt die neue bereits um 2 Uhr wieder an, so daß jede der drei Schichten alle drei Wochen einen völlig freien Sonntag hat. Höhere Bezahlung der Sonntagsstunden übt einen Druck auf den Arbeitgeber aus, die Sonntagsarbeit auf das technisch völlig Unvermeidliche einzuschränken. Schwieriger ist es in den Verkehrsberufen: bei der Bahn, der Post, im Gaststättenwesen, bei den Hausangestellten. Hier fehlt noch manches zur befriedigenden Regelung. Technisch kann noch dieses oder jenes ersonnen werden. Manche Forderung wird aber auch noch an den Opfersinn der Volksgemeinschaft gestellt werden müssen, auf Feiertagsfreuden zu Gunsten solcher Berufe zu verzichten. (Es geht z. B. recht gut ohne Sonntagsbestellung der Post, ohne warmes Abendbrot in den Gaststätten u. ä.)

LeerIn unserer säkularisierten Zeit lag es nahe, die Arbeitsruhe rein von der Technik her zu bestimmen. Anstatt der Woche versuchte man in der französischen Revolution den 10tägigen Rhythmus der Dekade, in Rußland die 5-Tage-Woche einzuführen. In Rußland hat man auch, das Prinzip der Schichtarbeit verallgemeinernd, zeitweise keinen festen Ruhetag durchgeführt, sondern an jedem Tag 1/5 oder 1/7 aller Beschäftigten beurlaubt. Keiner dieser Versuche hat sich durchsetzen können. Gegen die Erweiterung des Schicht-Prinzips revoltierte das Volk elementar: Familien, Freundes-, Kameradenkreise wollen zusammen feiern, die kleinen Einheiten zwischen den Einzelnen und der Masse sind nicht auszulöschen, die willkürliche 5- oder 10-Tage-Woche hat keinen grundsätzlichen Vorteil vor der hergebrachten 7-Tage-Woche. Schon das Schwergewicht des Überlieferten reicht aus, ihr zu widerstehen, vielleicht auch verbunden mit einem unbewußten Gefühl für die natürliche Bindung an den Rhythmus der Mondnächte.

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LeerTechnik und Organisation haben das Tempo der Arbeit immer weiter gesteigert. Vor allem der durchgehende Arbeitstag in den Großstädten hat das Berufsleben noch sehr viel mehr vom natürlichen Rhythmus des Tages gelöst, und es ist z. Zt. schwer vorzustellen, daß man diese Entwicklung rückgängig machen kann. Als Gegengewicht hat sich das Wochenende, der Arbeitsschluß am Sonnabend Mittag eingeführt. Es ist gut denkbar, daß die Entwicklung weiter geht zur vollen zweitägigen Arbeitsruhe.

LeerDann hätten wir Ruhetag und Feiertag nebeneinander. 5 Tage der Woche gehörten dann der Gemeinschaft, einer dem Menschen selbst, einer dem Herrn. Daß solch ein sinnvoller Rhythmus aus der neuen Ordnung entstünde, dafür müßte allerdings eine Voraussetzung gegeben sein, die heute noch nicht selbstverständlich ist: daß wir zu feiern wüßten, und daß die Feiern der Kirche dem Volk verständlich und lieb würden.

Anmerkungen:

(1) Juliet Bredon und Igor Mitrofanow: „Das Mondjahr” (Paul Zsolnay 1937)
(2) Vergl. Martin Ninck „Wodan und germanischer Schicksalsglaube” (Eugen Diederichs, Jena 1938).

Das Gottesjahr 1951 (1942), S. 34-40
© Johannes Stauda-Verlag zu Kassel (1951)

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-12-02
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