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Bibel

Es ist tief in dem Wesen der geschichtlichen Offenbarung und in dem Geheimnis der Inkarnation begründet, daß der Kirche auf ihrem Weg durch die Geschichte das für sie verbindliche Wort Gottes in Gestalt eines Buches (griech. =biblion), eines Kanons heiliger Schriften mitgegeben ist. Dies heilige Buch der Christenheit ist mehr als eine Reliquie, die verehrt und geküßt wird, mehr auch als ein Gesetzbuch, aus dem die Regeln für Glauben und Leben abgelesen werden könnten. Die Bibel selbst warnt vor dem Irrtum, als könnte aus dem heiligen Buch als solchem Gott und Sein Wille erkannt werden, ohne daß Er selber Ohr und Herz aufschließt. Der „Schriftgelehrte” wird zum warnenden Beispiel, wie blind auch das eifrigste Bemühen um den heiligen Text für den wirklichen Gott sein kann. Der heilige Geist, wie er Propheten und Apostel inspiriert hat, erweckt die Herzen der Menschen, daß sie sehend und hörend werden für die Christuswirklichkeit, von der die heilige Schrift Zeugnis geben will, für die Gegenwart Gottes und seine Anrede an uns.

Der heilige Geist durchglüht jene menschlichen Zeugnisse der Schrift, daß sie aufleuchten wie die Feuersäule, die dem Volk Gottes den Weg durch die Wüste zeigt; er verwandelt die Worte des heiligen Buches in Brot, daß wir davon essen und satt werden. Die Bibel hat ihren eigentlichen Ort im Gotteshaus und in der gottesdienstlichen Lesung; dabei erinnert der Adler, der viele alte Lesepulte ziert, daran, daß in dieser gottesdienstlichen Lesung der Heilige Geist selbst wirken, Christus selbst gegenwärtig sein will. Auch wenn der Einzelne oder die Hausgemeinschaft die Heilige Schrift lesen, lesen sie sie im Grunde nicht als einzelne, sondern vereinigen sich hörend und betend mit der ganzen Kirche um das Buch der Christenheit. So bindet die Bibel den einzelnen Christen, der sich forschend und betend in sie versenkt, und das christliche Haus in der Rette der Geschlechter an das Ganze der christlichen Kirche und gibt ihnen zugleich unmittelbaren Zugang zu der Fülle der göttlichen Offenbarung.

„Wenn die Kirche wacker ist, so glänzet die Schrift; wenn die Kirche kränkelt, so muß die Schrift unterliegen. Demnach pflegt gemeiniglich die Gestalt der Kirche und der Schrift zugleich entweder als gesund oder als kränklich zu erscheinen.” (J. A. Bengel)

Es gibt von Anbeginn bis heute zwei verschiedene Ordnungen der Bibellesung: die lectio continua bemüht sich in fortlaufender Lesung um den Zusammenhang ganzer biblischer Bücher und dient darum überwiegend der vollständigen und eindringenden Kenntnis der ganzen Heiligen Schrift; die lectio propria liest die Bibel in bestimmten Abschnitten, die nach der Ordnung der einzelnen Tage im Kirchenjahr (de tempore) ausgewählt sind, und ist insofern die eigentlich kirchliche und kultische Form der Bibellesung. In keinem Fall ist Bibellesen an sich ein verdienstliches Werk, das die volle geistliche Erkenntnis oder gar das Heil verbürgen könnte; vielmehr ist das Lesen der Heiligen Schrift zu den Formen geistlicher Übung zu rechnen, in der wir uns dem Wort und Wirken Gottes öffnen und hingeben.

Das Gottesjahr 1941, S. 21-22
© Johannes Stauda-Verlag Kassel

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© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-12-03
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