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Das Leben im College
von Eric Abbott

LeerIn diesem kurzen Aufsatz stelle ich mir die Aufgabe, so klar wie möglich darzustellen, welche geistliche Schulung in den Anglikanischen theologischen Colleges die Studenten erhalten, die dort auf ihre Ordination vorbereitet werden. Von geistlicher Schulung reden wir, im Hinblick auf unsere besondere Aufgabe, abgesehen von theologischer Schulung. Freilich würde keiner von uns, die einem theologischen College vorstehen, den Versuch machen, hier einen scharfen Unterschied zu konstruieren, denn unser Grundsatz ist „lex orandi lex credendi” (Das Gesetz des Glaubens richtet sich nach dem Gesetz des Betens), und wir brauchen Geistliche, die ebensosehr Lehrer im Gebet sind wie Lehrer in der Theologie. Ja mehr noch: wir brauchen theologische Lehrer, die Beter sind und an denen man sieht, daß sie es sind; und wir wollen, daß die Männer, die uns beten lehren, immer auch eine gesunde theologische Grundlage für ihr Lehren haben.

LeerEs wird wahrscheinlich vielen Lesern bekannt sein, daß die Kirche Englands etwa 20 anerkannte theologische Ausbildungsstätten (Colleges) besitzt. Diese Colleges begreifen praktisch all die verschiedenen Richtungen theologischer Anschauung und liturgischer Praxis in sich, die in der Kirche zu finden sind, wenn auch wohl kein College den Anspruch erheben kann, alle diese Verschiedenheiten in sich zu vereinigen. Man kann sogar sehr einleuchtend die Meinung vertreten, es wäre garnicht wünschenswert, wenn unsere Colleges von solch umfassender Weite wären, da sie das ihres besonderen Auftrags berauben würde, den jedes von ihnen gegenwärtig in der Kirche als ganzer erfüllen kann. Und die Erfahrung lehrt, daß für ein College, das wirklich alle Richtungen der Kirche umfassen und dabei nichts einbüßen sollte an Lebensfülle im Glauben und im Gemeinschaftsleben, die seltene Persönlichkeit eines Leiters erst entdeckt werden müßte, dem dieser Weg, ein College zu fuhren, besonders läge. Wie die Dinge heute sind, entsprechen die theologischen Colleges in ihrem Charakter den bekannten Richtungen in der Anglikanischen Kirche, die grob gesprochen in die drei Gruppen zerfällt: Anglo-Cathollc, Broad Church und Evangelical.

LeerWährend nun alle Colleges einer und derselben theologischen Abschlußprüfung unterworfen sind, und alle von Zeit zu Zeit durch Vertreter eines und desselben „Central Advisory Council” inspiziert werden, gibt es keine offizielle „Kontrolle” über ihren besonderen geistlichen Ausbildungsweg. Deshalb werden in diesem Zweig des College-Lebens dem Besucher, der von einem anderen Bekenntnis und aus einem anderen Land herkommt, die größten Unterschiede auffallen. Und die Tatsache dieser bekannten, umfassenden Weite der Anglikanischen Kirche, erschwert die Aufgabe, in einem kurzen Aufsatz die Wege zu beschreiben, die wir gehen um den Kandidaten eine angemessene geistliche Ausbildung zu vermitteln.

LeerImmerhin können wir sagen, daß in jedem College die Kapelle wirtlich der Mittelpunkt des Lebens ist. In vielen Colleges ist die Kapelle zwar klein, aber eine Stätte von großer Schönheit; und auf allen Seiten ist man überzeugt, daß der Gottesdienst, der hier dargebracht wird, - ob in großer Schlichtheit oder mit reichem Zeremoniell - in seiner Art vollkommen sein sollte.

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LeerIn jedem College, welcher geistigen Schule es auch angehört, gibt es bestimmte Gelegenheiten, an Sonntagen wie an Werktagen, wo von den Studenten erwartet wird, daß sie auf ihrem Platz in der Kapelle sind. Es gibt kaum Colleges, wo nicht irgendein Morgengottesdienst vor dem Frühstück gehalten wird (in den meisten, wenn auch nicht in allen Colleges ist das die Feier des heiligen Mahls, nach vorausgegangener Matutin); wenige Colleges, wo nicht von einer bestimmten Abendstunde an ein Schweigegebot gilt; wenige Colleges, wo nicht von Zeit zu Zeit eine Freizeit (retreat) oder ein „Stiller Tag” ist, unter der Leitung eines im geistlichen Leben erfahrenen Priesters.

LeerDiese Dinge haben allgemeine Geltung für so gut wie alle Anglikanischen Colleges. Dazu darf vielleicht als ein Einzelbeispiel die tägliche und wöchentliche Ordnung der Gottesdienste im Theologischen College in Lincoln angeführt werden.
 *7.30 Matutin
   7.45 Heiliges Mahl (an Heiligentagen gesungen)
 *9.30 Meditation
  13.00 Sext
*17.00 Abendgebet (gesungen)
*22.00 Complet.
LeerDas Zeichen * bedeutet, daß die Teilnahme an diesem Gottesdienst von allen Studenten erwartet wird. Man wird sich erinnern, daß im Book of Common Prayer in den „Allgemeinen Bestimmungen zum Morgen- und Abendgebet” festgesetzt ist, daß „alle Priester und Diakonen täglich das Morgen- und Abendgebet halten sollen, in der Stille oder im öffentlichen Gottesdienst, wenn sie nicht durch Krankheit oder aus einem anderen dringenden Grunde verhindert sind.”

LeerEs ist darum unsere Hoffnung und unsere Absicht, daß einem Studenten, der während seiner ganzen College-Zeit am Morgen- und Abendgebet täglich teilgenommen hat, das zur festen Gewohnheit geworden ist, die er in späteren Jahren nicht leicht wieder aufgibt, und daß er nicht nur die Verpflichtung sondern auch den tiefen Wert der „täglichen Ämter” kennen gelernt hat, in denen er das „Werk Gottes” („opus Dei”) treibt und Anteil daran gewinnt, und in dem er nicht nur in sondern mit der ganzen Kirche betet.

LeerWas die anderen regelmäßigen Gottesdienste anlangt, so wird das heilige Mahl („Eucharist”) täglich in der College-Kapelle gefeiert und es ist, wie es sein muß, das Herzstück unseres gottesdienstlichen Lebens. An Heiligentagen nehmen alle Studenten an der Feier teil, wenn auch nicht alle kommunizieren; an Sonntagen wird sie als geschlossene Feier der Hausgemeinschaft (Corporate Communion) gefeiert, während an Werktagen die Teilnahme freigestellt ist. Aber die Sakramentsfeier bleibt für das ganze College der Mittelpunkt des Gottesdienstes, selbst wenn - wie an einem Montag oder Samstag - nur wenige kommen; und von allen Studenten wird während der Zeit, in der das Sakrament gefeiert wird, Schweigen gehalten.

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Leer„Meditation” ist der Name, den wir der halben Stunde der Stille geben, zu der sich alle in der Kapelle versammeln. Kein Wort, kein Gebet wird laut gesprochen, und die Studenten haben vollkommen die Freiheit, selber den Gegenstand zu wählen, über den sie meditieren wollen. Einige gebrauchen die Bibel, andere nehmen irgend einen der Klassiker des frommen und geistlichen Lebens. Aber weil dieses stille Beten, dieses „mental prayer” und „Meditation” etwas ist, das man langsam und stufenweise und oft durch mühevolle Stadien geistlicher Not lernt, wird neuen Studenten so viel Hilfe geboten, wie es in diesem Zweig des geistlichen Lebens möglich ist - obgleich wir nicht vergessen, daß man jede Art des Gebets nur durch Beten selber erlernen kann. Außerdem hören sie in ihrem ersten Semester eine wöchentliche Vorlesung über das Gebet in seinen einfachsten Grundzügen und haben eine wöchentliche Besprechung der verschiedenen Wege der Meditation.

LeerDie Sext ist ein freiwilliger Gottesdienst. Dagegen die Complet am Ende des Tages ist für uns alle verpflichtend. Danach wird strenges Schweigen gehalten, was erfahrungsgemäß geistig und leiblich wohltuend ist (da der College-Tag sehr ausgefüllt und ermüdend ist) und mit der Zeit von allen begrüßt wird. Einmal in der Woche wird die Complet eine Stunde früher gebetet, um 21 Uhr, und eine geistliche Ansprache gehalten über irgend eine Seite des geistlichen Lebens oder des kirchlichen Amtes.

LeerJedes Semester haben wir im theologischen College in Lincoln eine zweitägige Freizeit („retreat”),in der Ansprachen und Meditationen gehalten werden und geschwiegen wird.

LeerSo wird man sehen, daß bei aller Mannigfaltigkeit der theologischen und liturgischen Haltung, die man in den Anglikanischen Colleges findet, sie doch alle den „Apparat” haben für ein stark entwickeltes geistliches Leben bei jedem Kandidaten. Wie weit jeder Student die gegebenen Möglichkeiten aufnimmt, hängt von einer Reihe von Umständen ab, von denen jeder bedeutsam ist und jeder der College-Leitung am Herzen liegt. Diese Faktoren sind:

Leer1. Die geistliche Fassungskraft des Studenten; die Stufe seiner geistlichen Entwicklung beim Eintritt ins College und während der College-Zeit; der Ernst, mit dem er seinen Beruf als ein künftiger Priester und Pastor auffaßt; seine Bereitschaft, mit den Dozenten in ihrem Unterricht und ihren Anweisungen zusammenzuarbeiten, im öffentlichen College-Leben wie im privaten.

Leer2. Die geistliche Atmosphäre des College und insbesondere der College-Kapelle; der Geist seiner Gottesdienste und ihre Kraft, den Studenten anzuziehen und zum Streben nach der Schönheit der Heiligkeit zu bewegen; die Tradition des College, durch Gebet aufgebaut und durch Gebet erhalten von Generation zu Generation.

Leer3. Die geistliche Verfassung des Dozentenkollegiums selber; die Art, wie sie selbst die ewigen Wahrheiten ergreifen und das Maß und die Echtheit ihrer persönlichen Hingabe an die Herrschaft Christi.

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LeerEs ist klar, daß diese drei Gruppen lebenswichtig sind. Sie stellen die inneren Voraussetzungen dar, welche den äußeren Regeln und Ordnungen, die wir beschrieben haben, Leben geben, freilich sind sie Imponderabilien. Darum kann man hier auch klar sehen, warum wir Anglikaner auf den Menschen und nicht auf ein System den entscheidenden Wert legen.

LeerSchließlich wird es gut sein darauf hinzuweisen, daß man heute in vielen Lagern der Anglikanischen Kirche eine neue Entschlossenheit feststellen kann, unsere Geistlichen gründlich auszubilden, nicht nur theologisch sondern auch geistlich. Diese Entschlossenheit entspringt aus verschiedenen Ursachen: aus der Beobachtung, daß das kirchliche Amt dem, der sich auf seine „Kunst” wirklich versteht, große Wirkungsmöglichkeiten bietet unter denen, die krank sind an Geist und Seele; aus der wachsenden Übereinstimmung, mit der die Gebildeten erkennen, daß die Kirche recht hat, wenn sie unsere nationalen und internationalen Nöte als Folge von Sünde versteht; aus der Tatsache, daß man sich in allen Lebenssphären mehr und mehr auf den „Fachmann” verläßt als die einzige wirkliche Quelle für Hilfe; aus dem Umstand, daß die Kandidaten von heute aus allen Gesellschaftsklassen kommen, weshalb es noch weniger als früher angehen kann, ihre Ausbildung teilweise dem Zufall zu überlassen.

LeerWir können die Lage aufs kürzeste zusammenfassen und sagen, daß derer viele sind, die glauben, wir sollten uns nicht länger beruhigen bei einem Dilettantismus unter den Geistlichen, sondern jeder Kandidat sollte das geistliche Handwerk („priestcraft”) (ein Wort mit gefährlichen Assoziationen!) erlernen.

LeerAber diese Aufgabe der geistlichen Schulung, im Gebet, in Askese und Pastoraltheologie, ist so groß, daß es töricht wäre, von den theologischen Colleges die Erfüllung dieser Aufgabe in der immer noch verhältnismäßig kurzen Zeit der Ausbildung, die sie ihren Studenten geben, zu erwarten. Darum ist man weithin bemüht, diesen Teil der Ausbildung eines Kandidaten während der ersten drei Jahre seines Amtes fortzusetzen.

LeerLaßt uns schließen, wie wir begannen: wir glauben, daß es nicht genug gute Christen und nicht genug heilige Priester und Pastoren gibt. Wir glauben, daß die Kirche und die Welt von Männern im heiligen Stand verlangen kann, daß die Männer von tiefer und wachsender Heiligkeit sind; daß dies die oberste Forderung an einen Verwalter des Evangeliums ist. Es gibt keinen Ersatz für persönliche Heiligkeit. Und das goldene Zeitalter wird nicht gebracht werden von Menschen mit bleiernen Herzen.

LeerDiese Überzeugungen (neben theologischem Wissen) mitzuteilen ist der Daseinszweck des theologischen College.

LeerWir bitten, daß unsere Freunde in Deutschland in ihrem Gebet aller anglikanischen Kandidaten gedenken und derer, die sie betreuen und die geistliche Verantwortung für sie tragen.

Das Gottesjahr 1938, S. 46-51
© Johannes Stauda-Verlag Kassel 1938

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-02-24
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