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1934
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Christus Consolator
von Anna Paulsen

LeerIn einem alten Abendmahlslied heißt es von der Gabe, die hier gereicht wird, daß sie sei „eine Speise der Kranken, denen ihr Herz von Sünden schwer und vor Angst betrübet sehr”.
„Solch groß Gnad und Barmherzigkeit
sucht ein Herz in großer Arbeit:
Ist dir wohl, so bleib davon,
daß du nicht kriegest bösen Lohn.”
LeerMan könnte eine ganze Reihe von Jesusworten danebenstellen: „Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden.” „Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid.” Gegen diese Seite am Christentum ist immer wieder Sturm gelaufen worden. Das Evangelium erscheint hier als eine Botschaft für Menschen, die keinen Lebensmut mehr haben, für Menschen, denen das Rückgrat gebrochen ist. Den schärfsten Protest hat wohl Nietzsche ausgesprochen, indem er die Christenheit anklagt wegen ihres feigen und kriecherischen Pessimismus. Volle und ganze Menschen sollten sie sein, sie sollten zu den Schaffenden gehören, zu den Freudigen und Hochgemuten. „Darum sollt ihr Kämpfende sein. Dem Erkennenden heiligen sich alle Triebe; dem Erhöhten wird die Seele fröhlich. Arzt, hilf dir selber, so hilfst du auch deinen Kranken noch. Das sei seine beste Hilfe, daß er den mit Augen sehe, der sich selber heil macht.... Tausend Pfade gibt es, die noch nie gegangen sind, tausend Gesundheiten und verborgene Eilande des Lebens.”

LeerEs gibt in der Tat - darin hat Nietzsche recht - eine Selbstverachtung, in der im Grunde der Mensch in sich den Menschen erniedrigt, einen Pessimismus, der Schwäche und Feigheit ist. In der modernen Kunst, namentlich in der Literatur, wäre manches zu nennen, was unter dieses Urteil fällt. Es gibt Schilderungen, bei denen man den Eindruck gewinnt, daß mit einem wahren Wohlgefallen an der Verneinung der Mensch entkleidet und bis in sein Innerstes hinein seziert und entwürdigt wird: „Seht, soweit haben wir's gebracht, so sehend und wissend sind wir geworden! - Eine bloße Karikatur ist das Leben. Weiter ist nichts am Menschen dran.” Solche Haltung ist Auswirkung der Dekadenz, Zeichen einer inneren Fäulnis. Solcher Pessimismus braucht keinen Trost, keine Aufrichtung, er gefällt sich zu sehr in sich selber. Er ist im Grunde Flucht vor der Tiefe und der Verantwortung des Lebens.

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LeerDie Zerknirschung des Christen hat ganz andere Gründe, ist nicht Selbstwegwerfung aus dem Wohlgefallen an der Verneinung, sondern sie kommt aus einem Wissen um Hintergründe des Lebens, die der oberflächliche Mensch nicht sieht. Sie kommt daher, daß hier der Mensch sein wahres Gegenüber kennt, den ewigen Gott, der einen Anspruch an ihn hat, an dem sich für ihn alles entscheidet, so daß sein Sein verloren ist, wenn er von Gott gerichtet wird. Der Christ kennt eine Sorge, neben der alle andere Not gering wird.

Leer„Wahrlich vornehm hat das Christentum den Christen über alles Irdische und Weltliche denken lehren”, sagt Kierkegaard einmal, „aber dann hat das Christentum wieder ein Elend entdeckt, von dem der Mensch als solcher nichts weiß.” Was der natürliche Mensch als das Schauerliche aufzählt - das ist für den Christen, gemessen an dem, was seine Hauptsorge und sein tiefstes Anliegen ist, wie ein Scherz. Eins der klassischen Beispiele für die Erkenntnis der Lage des Menschen ist die Begegnung des Propheten Jesaja mit Gott. Indem er sich bewußt wird, vor dem Ewigen da zu sein, vor seiner unergründlichen Herrlichkeit und Hoheit, ruft er aus: „Weh mir, ich bin vernichtet! Denn den Herrn Zebaoth haben meine Augen gesehen.”

LeerEs gibt eine unmittelbare Daseinsfreude, die einfach Vordergrund und Leere ist, Harmonie und Beschwingtheit aus dem Nichtwissen um den Sinn des Seins, Lebensfreude vor dem Grauen, nicht in seiner Überwindung. Es gibt auch einen Optimismus im Blick auf das Leben und das Schicksal, der nur aus der Unmittelbarkeit der Stimmung kommt, leerer Aufschwung ohne tiefere Besinnung auf seinen Grund und sein Recht. Der erschütternde Ernst, der uns in alten Kirchenliedern und Predigten entgegentritt und der von manchem modernen Menschen als fremdartig und überlebt empfunden wird, rührt daher, daß man hier die Wirklichkeit besser kennt, daß man in das Leben des Menschen den Tod mit einrechnet als die Grenze, die zu ihm gehört, und daß man den Menschen als Sünder sieht, das heißt, als den, der seine Berufung verfehlt hat. Diese Zerknirschung braucht den Trost, denn aus sich heraus würde der Mensch, der dem wahren Charakter der Wirklichkeit ins Gesicht gesehen hat, niemals wieder zur Lebensbejahung kommen. Die Not, deren er ansichtig geworden ist, kann durch menschliche Kräfte nicht behoben werden. Ein anderer muß eingreifen. Das Heil des verlorenen Menschen ist Rettung ans ewiger Vollmacht heraus, ist Wunder. Der Mensch kann sich also selbst nicht trösten. So wenig er von sich aus die wahre Tiefe der Not erkennen könnte (Gott selbst muß sie ihm aufdecken durch sein Wort), so wenig ist er imstande, sich selbst aufzurichten, sich selbst den Halt zu geben.

LeerTrösten kann uns nur, wer unsere Lage wirklich versteht, nicht von außen und gleichsam von oben her nur hereinschaut, sondern sich neben uns stellt und mit uns gemeinsam wird. Wir wissen selbst, wie schwer unter Menschen solches Hineinkommen in die Lage eines andern ist. Im Innersten fühlt sich in wirklich schweren Lebensfragen der einzelne so oft verlassen. Verstehen und helfen kann letztlich doch kein anderer. Der Nebenmensch trägt schon zu schwer an der eigenen Lebensnot und ist in seinem inneren Leben oft andere Wege geführt worden. Trost kommt aus dem Verstehen, ist Linderung, Mittragen aus innerer Kraft heraus, Hände unterbreiten. „Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet”, heißt es einmal im Alten Testament von Gott. Solcher Trost ist ein Umfangen, ist Bergung, Aufhebung der Verlassenheit und Einsamkeit. Einer, der wirklich Trost empfängt, ist nicht mehr im Stich gelassen, nicht mehr allein ausgeliefert der Not, die ihn bedrängt. Doch mag menschlicher Trost nun viel oder wenig vermögen, eins ist sicher: Angesichts der letzten und schwersten Lebensbedrängnis, dem Gerichtetsein von der Ewigkeit her, ist er ohnmächtig. Hier kann nur einer helfen, der, aus der Ewigkeit stammend, unsere Lage ganz versteht: der ewige Christus.

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LeerDas Trostwort, das wir aus dem Munde Jesu am häufigsten hören, lautet: „Dir sind deine Sünden vergeben, gehe hin in Frieden”. Das sagt er als der Bruder, der sich ganz neben den andern stellt und zugleich als sein Vertreter vor Gott, sein Bürge vor dem Vater. Christus ist der Bruder, der uns so nahe ist, wie kein anderer je sonst, dem nichts in unserer Lage fremd geblieben ist, weder unsere Not und Anfechtung, noch unser Schuldig-geworden-sein - er ist „versucht, wie wir, doch ohne Sünde”, wie der Hebräerbrief sagt. - Und er ist der Sohn, der durch sein Eintreten für uns den Weg freimachen kann zum Vater. In diesem Sinn ist er Tröster und zugleich Urheber, Grundlage alles Trostes. Er ist das Lamm Gottes, das der Welt Sünde getragen, den Tod überwunden und damit den Grund gelegt hat zu einer ewigen Hoffnung. Also nicht einzelne Worte nur, die er gesprochen hat, er selbst ist es, an dem der Christ sich ausrichtet. Christus muß so gepredigt werden, „daß mir und dir der Glaub daraus erwachse und erhalten werde”, sagt Luther. „Welcher Glaub dadurch erwächst und erhalten wird, wenn mir gesagt wird, warum Christus kommen sei, wie man sein brauchen und genießen soll, was er mir bracht und geben hat. - Denn wo ein Herz also Christum hört, das muß fröhlich werden von ganzem Grund, Trost empfahen und süß werden gegen Christum. - Dahin es nimmermehr mit Gesetzen oder Werken kommen mag.”

LeerChristus consolator. Wo Christus verkündigt wird als der Heiland und Erlöser der Welt, da wird der wahre Trost gespendet. Diese Botschaft ist heute so notwendig wie je. Sie ist auch einem im Aufbruch begriffenen, im Bewußtsein seiner Sendung zu gesteigertem Bewußtsein seiner selbst gekommenen Volk notwendig, auch dem einzelnen Menschen, der in solcher nationalen Begeisterung sich von neuer Lebens- und Schwungkraft beseelt fühlt. Solcher Aufschwung wird gespeist aus den Kräften des natürlichen und ungebrochenen Lebens. Das getröstete Gewissen bedeutet eine Bejahung des Lebens, seines Werkes und seines Sinnes aus einem anderen Grunde heraus. Der Christ, der in Gott seinen Schöpfer und Erlöser erkennt, wird mit umso tieferer Freude sein Volk bejahen und damit sich zu dem Ort bekennen, an den ihn Gott gestellt hat, wird die Lebenskraft, von der er sich durchströmt fühlt, als Gottes Gabe hinnehmen. Er verneint nicht das Leben, er ist vielmehr gerade als Christ ein schaffender Mensch, Glied seines Volkes und seiner Kirche, das zu leidenschaftlicher Liebe fähig ist und sich ganz dem Werk hingibt, zu dem es berufen wurde. - Dies Selbsterlebnis und diese Bejahung des Lebens und der Arbeit bedenken aber keine Erhöhung des eigenen Ich, sondern dankbare Beugung unter Gott.

LeerEine der schönsten Darstellungen des Christus ist vielleicht das Hundertguldenblatt von Rembrandt. Christus ist hier umringt von Mühseligen und Beladenen, er wendet sich in unermüdlicher Geduld und in innerstem Mit-Leiden jedem einzelnen zu. Dies ist nicht der Heros Christus, der strahlende Führer, wie ihn vielleicht mancher sich heute vorstellt, sondern der Überwinder. Er hat Mühe und Arbeit gehabt an dem Leid und der Schuld der Welt. Leiden ist aber nicht Schwäche, sondern Kraft. Wenn dieser Christus verkündigt wird, ist er wohl ein Ärgernis dem natürlichen Lebenswillen des Menschen, aber dem Mühseligen und Beladenen Zeugnis von der ewigen Kraft und Herrlichkeit Gottes.

LeerWer durch diesen Trost sich aufrichten läßt, der ist darum kein schwacher und unselbständiger Mensch, sondern einer, der der Wahrheit standgehalten hat. Wer an seiner eigenen Kraft und seiner sittlichen Leistung irre geworden ist und sich von dem helfen läßt, der an seine Stelle getreten ist und seine Schuld getragen hat, der ist wahrhaft getröstet worden. Wer aber zu diesem Eingeständnis nicht bereit ist, der schließt sich selbst aus. In dem eingangs erwähnten Abendmahlslied heißt es darum auch von dem Tisch des Herrn:

„Hättst du dir was konnt erwerben,
was durfte dann ich für dich sterben?
Dieser Tisch auch dir nicht gilt,
so du selber dir helfen willt.”
„Er spricht selber: Kommt, ihr Armen.
Laßt mich über euch erbarmen;
kein Arzt ist dem Starken not,
sein Kunst wird an ihm gar ein Spott.”
Das Gottesjahr 1934, S. 52-55
© Bärenreiter-Verlag zu Kassel

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-11-11
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