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Gottesjahr 1934
von Wilhelm Stählin

LeerSpäter als in anderen Jahren, später als es recht und billig ist, kommt der Kalendermann zu den Freunden des Gottesjahrs. Soll er sich damit verteidigen, daß ein langer Herbst uns mit warmem Sonnenschein über das Sinken des Jahres hinwegtäuscht und uns vergessen läßt, wie nahe schon Weihnachten gerückt ist? Es bedarf keiner solchen Erklärung und Verteidigung. Dies Jahr hat uns alle in irgend einem Sinn aus der gewohnten Bahn geworfen. Wer kann Pläne machen, wer kann ein Jahrbuch zur rechten Zeit vorbereiten, Mitarbeiter werben und ein Dutzend und mehr Aufsähe zu einem sinnvollen Ganzen runden, wenn unser Volk in unermeßlichen Fiebern die Geburtswehen einer neuen Geschichte Europas durchleidet. Wie viele Tage waren bis zum Rande angefüllt von dem Geschehen um uns her, von Fragen und Sorge und Mitverantwortung um die Zukunft unseres Volkes, die Zukunft der evangelischen Kirche in unsrem Volk. Und dann, wenn wieder die weiten Plätze leer, die Fahnen eingezogen und die Marschlieder verklungen waren, sind wir nach Hause gegangen in unsere Arbeitsstube und haben aus aller Aufgeregtheit der großen Worte, aus allem brodelnden Ungestüm Zuflucht und Klarheit gefunden in dem Dienst an dem uns befohlenen Werk. Dankbar lasse ich mir berichten von dem Wort eines nationalsozialistischen Führers: Dienst am Volk heiße nichts anderes, als daß ein jeder an seinem Platz stehe und sein Tagwerk tue, so gut er kann. Wohl, wir wollen an unsrem Platz stehen und auch dies Werk an unsrem Jahrbuch treiben nach dem Maß der Erkenntnis und Kraft, das uns geschenkt ist. Daß wir nur wirklich an unsrem Platz stehen, nicht aller Welt nachlaufen, voll Angst, wir möchten den Anschluß versäumen; stehen, nicht uns umtreiben lassen von allerlei „Wind der Lehre”, sondern stehen und als treue Boten ausrichten, was uns aufgetragen ist. Es ist Karl Barth sehr übel genommen worden, daß er in seiner Schrift über die „Theologische Existenz heute” von sich selber berichtet hat, er wolle in seinem Hörsaal Theologie treiben „als ob nichts geschehen wäre”. Eine große Schale voll Spott und Zorn ist über dieses Wort ausgegossen worden, Spott und harte Anklage wider eine Theologie, die ihren eigenen Gedanken nachhängt „als ob nichts geschehen wäre”. Muß nicht die Kirche das Wort des lebendigen Gottes gerade in das Volk und seine Stunde hineinsprechen, und was soll ein zutiefst aufgewühltes Volk anfangen mit Pfarrern, die von ihren akademischen Lehrern gelernt haben, zu reden, als ob nichts geschehen wäre? Ich weiß, ich weiß! Aber wie soll ein Wort in die Unruhe der Tage hineingesprochen werden, wenn es nicht geboren ist aus einer Stille, die von dem Lärm des Tages nicht zerrissen wird? Man rühmt uns Luther, der ganz anders als wir heutigen Theologen dem Volk aufs Maul gesehen habe; aber er hat ihm eben nicht nach dem Munde geredet. Wohl hat er vom Volk und wie das Volk reden gelernt, aber nur um ihm das desto deutlicher zu sagen, was es nicht hören wollte, weil es wider alle Natur und über alle Vernunft ist. Kann man überhaupt etwas sagen, das wert ist gehört zu werden, wenn man keine andere Quelle der Weisheit kennt als das, was vor Augen geschieht?

LeerSo haben also wieder etliche der alten und etliche neue Freunde sich zusammengetan und treten mit ihrem gemeinsamen Wort in den Kreis der Freunde. Wir meinen, es sei nötiger und wichtiger als je, daß wir dieses Wort sagen, und daß ihr es höret, meine Freunde. Im vergangenen Jahr haben wir in Not und Zorn unsre Anklage erhoben gegen die verweltlichte Kirche, gegen eine Kirche, die in ihrem Wort und ihrer Verfassung, ihrem Liebeswerk und selbst in ihrem Beten sich an den Anspruch der Welt verliert. Wir haben mit unsrer Sorge viel gründlicher recht behalten als wir selbst oder irgend jemand ahnen konnten. Diese Kirche ist dem Anspruch der Welt, der sie selber die Macht über sich gegeben hat, erlegen. Die Welt, ihre Formen des Kampfes, ihre Formen der Arbeit sind in breitem Strom über alle Dämme geflutet und eingebrochen in den Raum der Kirche. Und immer wieder, wenn die Wasser stiegen, wenn die Wogen wilden Streikes unsre wohlgepflegten Gärtlein zu verwüsten drohten, wenn uns angst und bange war um unsre Kirche, klang es in uns auf: „Wir empfangen, was unsre Taten wert sind”. - In dem Feuer dieses Gerichts ist die alte Form der Kirche zerbrochen. Sollen wir ihr nachtrauern, weil das Neue, das mit so viel Kriegslärm, mit so viel Unrecht und Gewalttat seine Herrschaft aufgerichtet hat, noch gänzlich unerprobt und unbewährt ist? Wir haben viel zu tief gelitten unter der Kirche, wie sie war, als daß wir jetzt rückwärts schauen wollten, statt mit allen denen, die guten Willens sind, die Hand ans Werk zu legen zum Bau der Kirche.

LeerWas aber ist der notwendigste Dienst bei diesem notwendigen Neubau der Kirche? Als der vorige Band in die Hände unsrer Leser kam, schien uns, dem Herausgeber und seinen Freunden, es sei wohl das Nötigste, in dem Jahrgang 1934 von Kirche und Staat zu reden. Diese Aufgabe hat uns nun die Geschichte zunächst aus der Hand genommen und hat ihr gewaltiges Wort gesprochen, neben dem unsre theoretischen Überlegungen verhallen müßten. Als dann in den Wochen und Monaten nach dem großen Umschwung unsres Volkes Sorge und Kampf um unsre Kirche alle unsre Gedanken erfüllte, da war uns klar - fast möchte ich sagen erschütternd klar - daß wir hier in unsrem Gottesjahr nicht von irgend welchen Fragen des Tages, von irgend einer Art von Kirchenpolitik oder dergleichen reden dürften, sondern reden müßten von dem eigentlichen und entscheidenden Inhalt aller Kirche, von dem, was der tragende Grund, was Herz und Haupt der Kirche ist, von Jesus Christus. Hätte unsrer Kirche widerfahren können, was ihr in diesen Monaten widerfahren ist, wenn mehr Erkenntnis Jesu Christi, mehr Glauben an Christus, mehr Leben aus Christus in ihr gewohnt hätten? Es ist viel einfache Unwissenheit unter uns, trotz der ungezählten Stunden Religionsunterricht, erschreckend viel Nichtwissen und Nichtverstehen dessen, was eigentlich die kirchliche Verkündigung von Jesus Christus meint. Heute aber ist ein großes Fragen erwacht, nicht ein Fragen nach dem und jenem, sondern nach dem Einen, das allein der Kirche aufgetragen und anvertraut ist. So konnten und wollten wir von nichts anderem reden als von Jesus Christus und haben über diesen Band die wenigen Worte geschrieben, die doch alle Welt umspannen, die Worte, die von der Hand Rudolf Kochs geschnitten, diesen Blättern voranstehen: „Ich glaube an Jesus Christus.”

Rudolf Koch


LeerEin Jahrbuch ist kein Lehrbuch der Dogmatik. Es erhebt nicht den Ansprach, in wohlabgewogener Vollständigkeit das alles zu sagen und zu deuten, was in diesem heiligen Namen beschlossen liegt. Keine Kritik kann eine Lücke entdecken, die wir nicht selbst, ehe diese Blätter hinausgehen, wohl empfunden hätten. Aber wichtiger als solche lehrhafte Vollständigkeit schien uns, daß wir versuchen, an einer Reihe von Beispielen heutigen Menschen deutlich zu machen, was mit diesen Worten gesagt ist, heute mehr als je gesagt sein muß. Die Verschiedenheit der Verfasser bringt es mit sich, daß der Umkreis ihrer Gedanken sich da und dort überschneidet, und daß wohl auch dieselbe Melodie gleichsam auf verschiedenen Instrumenten gespielt hier und dort anders klingt. Es entspricht sehr unserem Wunsch, daß mit den uns vertrauten Klängen auch der überschwängliche Lobpreis der Ostkirche zur Ehre des Fleisch gewordenen und im Sakrament gegenwärtigen Christus sich verbindet. Aber es fügt sich doch alles zu einem Ganzen, und wir meinen, in diesem Ganzen fehlt kein Ton ganz, der in dem durch die Jahrhunderte tönenden Lied der Kirche zum Preise Christi erklungen ist.

LeerÜber das Monatswerk ist wenig zu sagen. Die hier zugrunde liegende und seit Jahren erprobte Ordnung des Kirchenjahres hat gerade im letzten Jahr auch in weiteren Kreisen viel Beachtung und freudige Zustimmung gefunden. Eine Reihe von Veröffentlichungen haben sie aufgegriffen und sind darum bemüht, die Gemeinden an solcher sinnvollen Ordnung des Jahres und durch sie an dem Leben der Kirche teilnehmen zu lassen. Die längst vorbereitete und wiederholt angekündigte Schrift des Herausgebers, in der diese Auffassung des Kirchenjahres ausführlich begründet und im einzelnen dargelegt wird, kann nun, wie wir hoffen, in diesem Winter endlich erscheinen. Der Arbeitsgemeinschaft mit anderen Kreisen ist zu unserem Bedauern die Heraushebung einer besonderen „Laurentiuszeit” vorläufig zum Opfer gefallen.

LeerDie Wochensprüche sind mit verschwindenden Ausnahmen die gleichen geblieben. Unermüdlich wollen wir betonen: Was wir brauchen, ist nicht der reiche Wechsel, der unsren unsteten Geist mit immer neuen Anregungen und Eindrücken zu fesseln weiß, sondern die Wiederkehr und Wiederholung, die sich in ein und dasselbe Bild, ein und dasselbe Wort mit Geduld und Treue versenkt. Diese Worte stehen nicht hier, um die „Sonntagsfelder” mit irgendwelchen erbaulichen Gedanken auszufüllen; sie warten auf Menschen, die bereit sind, ein solches Wort eine Woche hindurch Tag für Tag am Abend und am Morgen zu bedenken, und sie verheißen denen, die in solchem Bemühen ausdauernd und treu sind, daß sie ihnen die Pforte der „heimlichen Weisheit” auftun. Die Bibellese, die unser Kreis herausgibt - wir dürfen annehmen, daß alle Leser des Gottesjahres sie kennen und gebrauchen - verbindet sich mit diesen Wochenlesungen zu einem einheitlichen Weg täglicher Andacht, täglicher Versenkung in die Heilige Schrift.

LeerSeit mehr als 10 Jahren ist unser Bemühen darauf gerichtet, in dem Monatswerk unsres „Gottesjahres” einen Gedenktag an den andern zu reihen und dadurch einen evangelischen Kirchenkalender vorzubereiten. Ich weiß, daß die meisten Leser des Gottesjahres über diese Namen hinweglesen; aber einer zunächst kleinen, aber von Jahr zu Jahr wachsenden Zahl von Freunden hat sich die Erkenntnis aufgedrängt, welche Bedeutung für die Kirche, welche Bedeutung für den Einzelnen und Einsamen, welche Bedeutung vor allem für die kirchliche Unterweisung der Jugend es haben könnte, wenn wir uns, wie es für das katholische Kind selbstverständlich ist, das Jahr hindurch umgeben und getragen wissen dürften von der „Wolke von Zeugen”, von der Schar der Bekenner und Werkleute Gottes, durch die der Herr seine Kirche auf Erden gebaut hat. Wir haben unsre Leser Jahr für Jahr teilnehmen lassen an den Fragen und Schwierigkeiten dieses Werkes. Wir haben ihnen gern Einblick gegeben in unsre eigenen Überlegungen, in die Fehler, die wir erkannt haben, in die Wandlungen, die wir für nötig gehalten haben. Die Entwicklung, von der wir im vorigen Jahr ausführlich berichtet haben, ist noch einmal weiter gegangen. Die Zahl der Namen ist wesentlich verringert; Namen, die zwar in einem allgemeinen Geschichtskalender nicht fehlen dürften, die aber in einem evangelischen Kirchenkalender kein Heimatrecht haben, sind gestrichen worden. Nur solche Gedenktage durften bleiben, die mit der Geschichte der Kirche Jesu Christi irgendwie verknüpft sind. Der alte christliche Grundsatz, daß der Heiligen der Kirche an ihrem Todestag gedacht wird, ist nun mit verschwindenden Ausnahmen durchgeführt. Soweit irgend möglich trägt der einzelne Tag nur einen Namen; die eindeutige Aufforderung, dieses Mannes zu gedenken, hat mehr Aussicht gehört zu werden, als eine Häufung von Namen. Auf der anderen Seite glaubten wir sehr viel sparsamer sein zu sollen in der Verlegung von Gedenktagen, da man ja die in Gottes Ratschluß bestimmten Geburts- und Sterbetage Seiner Boten und Werkzeuge nicht verschieben oder verlegen kann wie ein verregnetes Volksfest. Soweit irgend möglich sind die Namen an dem ihnen zukommenden Datum verzeichnet, und nur um die unerwünschte Häufung zu vermeiden, ist hin und wieder eine Erinnerung auf den unmittelbar vorhergehenden oder nachfolgenden Tag verschoben. Zum ersten mal haben wir es auch in Kauf genommen, daß einzelne Tage ganz frei blieben; wir halten das für den geringeren Schaden, als wenn einzelne Erinnerungen nur deswegen Aufnahme finden, weil für den betreffenden Tag kein besserer, kirchlicherer, christlicherer Name sich finden will. Nur in ganz wenigen Fällen sind unpersönliche Erinnerungen wie „Heliand” oder „Nibelungenlied”, die ihrem Wesen nach keinen bestimmten Tag haben können, auf solche leeren Tage gelegt. Diese leer gebliebenen Stellen in unsrem Monatswerk werden niemanden in Verlegenheit setzen. Es warten genug Namen, denen nachzusinnen und nachzuforschen wir an ihrem Tag versäumt haben, auf solche Atempause, um hier noch einmal anzuklopfen und um Gedächtnis zu bitten. - Dieser Teil unsres Monatswerkes wird erst dann in vollem Maß brauchbar und wirksam werden, wenn wir ein Buch vorlegen können, in dem all diese vielen Namen, die so vielen unter uns eben nur unbekannte Namen sind, mit der Fülle lebendiger Erinnerung umkleidet werden, wenn hinter diesen Namen leibhafte Gestalten auftauchen, wenn ihr Leben und Leiden, ihr Christusglaube und ihre Menschenliebe in der Fülle der Anschauung vor uns neu ersteht. Dieses Buch ist nun ernstlich in Angriff genommen. Es ist ein großes Werk, und wir werden die, die sich darauf freuen, noch für mehr als ein Jahr um Geduld bitten müssen. Aber einer unsrer Freunde hat diese Aufgabe mit dem ganzen Rüstzeug gelehrten Wissens und mit der ganzen Liebe zu dieser Gestaltenfülle geistlichen Lebens angegriffen, und wir hoffen schon im nächsten Jahr unsren Lesern von einem Fortgang auf diesem Wege berichten zu können. Damit wird dann auch dieser Namenkalender, wie wir hoffen, als ein rechter evangelischer Kirchenkalender, so wie schon bisher der Gang des Kirchenjahres, Namen und Losung der einzelnen Sonntage, seine endgültige Gestalt finden dürfen.

LeerWenn wir im Vorjahr die Arbeit an unsrem Gottesjahr zu den stillen Dingen gerechnet haben, die in der Verborgenheit geschehen müssen, doch aus dieser Verborgenheit hineinleuchten und hineinwirken in alle Bezirke des Lebens, so hat diese Erkenntnis in dem Jahr, das wir inzwischen durchlebt haben, eine größere Verantwortung als je empfangen. Wir meinen in allem Ernst, es sei für unsre Kirche, wenn Gott sie nicht ganz und gar verworfen hat, nichts nötiger als dies, daß sich da und dort die Menschen zusammenfinden, die unbeirrbar und unermüdlich, „als ob nichts geschehen wäre”, fragen nach dem Einen, das not ist, horchen auf die eine Stimme des göttlichen Rufes, mit nie gesättigten Augen anschauen das Bild, das Gott aufgerichtet hat in Jesus Christus. Nichts tut uns so not wie Erkenntnis, die uns fest macht gegen die Wankelmütigkeit, gegen Untreue und Verrat des Heiligen. Die Menschen, die mit uns solche Notwendigkeit spüren, müssen von einander und um einander wissen. Bei unsrem Dienst am Gottesjahr ist es uns von allem Anfang an nicht nur um eine literarische Arbeit gegangen, die der Einzelne dann in seiner Einsamkeit aufnimmt, bejaht oder kritisiert, sondern um die Verbindung von Menschen, die von den gleichen Gedanken bewegt, von den gleichen Kräften durchströmt, das Geheimnis der Kirche an sich selbst erfahren. Dringender als je rufen wir darum in diesem Jahr dazu auf, daß die, zu denen diese Blätter dringen, sich zusammenfinden. Die nicht schon zum Berneuchener Kreis gehören und die gern solche persönliche Verbindung in der Gemeinde Jesu Christi suchen und pflegen, mögen dem Verlag oder dem Herausgeber ihre Namen melden. Wir werden ihnen dann mitteilen, auf welchen Wegen und in welchen Formen sie in aller Verschiedenheit äußerer Lebenslage brüderlich christlich verbunden sein können in der Gemeinsamkeit des Glaubens und des Geistes.

Das Gottesjahr 1934, S. 19-24
© Bärenreiter-Verlag zu Kassel

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-11-11
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