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1933
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Herd und Altar
von Annemarie Viebig

LeerWir wissen, daß drei der gewichtigsten Muttersymbole die gleiche Gestalt haben: Sarkophag, Herd und Altar; so müssen diese drei im Tiefsten miteinander verwandt und aufeinander bezogen sein, so müssen auch im Christentum Herd und Altar, Heim der einzelnen Familie und Kirche der Gläubigen, kleine und große Gemeinschaft aus ein und derselben Lebensquelle kommen. Schöpfungsordnung und Gnadenordnung kommen beide aus Gottes Händen.

LeerLuther, der Mann der Kirche, der nicht durch das männliche Wort allein, sondern ebenso durch das mütterliche Sakrament in seiner Mutter Kirche wurzelt, hat auch den deutschen Herd begründet. Vor ihm gab es, im tiefsten Sinn des Wortes, das deutsche Haus und Heim nicht. Er hat mit dem Amt der Mutter Kirche als kleines Abbild auch das Amt der Mutter des Herdes anerkannt. Im deutschen Volksbuch vom Dr. Faust stehen unter den wenigen Sätzen des Vertrages, den Faust mit dem Satan schließt, folgende: Faust verpflichtet sich, nie mehr eine christliche Kirche zu betreten und niemals ehelich zu werden. - Die tiefe, in Gott gebundene Verwandtschaft der beiden Ämter erfahren wir heute, wo die Mutter Kirche, die Mutter des Altars, zugleich mit der Hausmutter, der Mutter des Herdes, in bitterste Not geraten sind; in jene Not, daß die Einsicht in ihrer beider Wesen verloren geht und damit ihr Wesen selbst. Nachdem in unsrer Kirche der vorherrschend männliche Dienst der Kanzel allzu einseitig an Geist und Intellekt, an den Mann im Menschen, sich wandte, verkümmerten alle die Kräfte, die der Dienst des Altars für die Frau im Menschen bereit hält.

LeerDie Erkenntnis dieses Verkümmerns führt zu ähnlichen Methoden der Abhilfe, wie sie die Welt anwendet, an der sich das geradezu verzweiflungsvolle Schwinden der fraulich-mütterlichen Lebensseite bitter zu rächen beginnt. Atemlos hilft man dem leiblichen Leben auf, und mit unendlichen Mitteln und Mittelchen kuriert man an den Symptomen herum, -ohne dem Wesen der Sache beizukommen; denn nicht ein neues Tun, sondern einzig ein neues Sein kann hier retten. Die Welt hat sich in einen unermeßlichen, atemraubenden sozialen Betrieb verstrickt und mit ihr vielfach auch die Kirche. Atemlos muß gegeben, genährt, gekleidet, geheilt, erzogen, belehrt, unterhalten werden. Nicht, daß es nicht heute notwendiger denn je sei, zu geben. Aber wie selten geschieht das Alles mit der stillen Hand der Mutter, die den Armen an ihren Herd holt und nur aus der Kraft und dem Geiste dieses Herdes heraus wärmen, schenken und heilen kann. Holt die Mutter Kirche alle die, die sie kleidet, nährt und beschenkt, an ihren Herd, an ihren heiligen, ewiges Leben spendenden Herd, an ihren Altar? Wo sind sie, die Tausende und Abertausende, denen die Kirche leiblich half? Hat sich die Gemeinde um ihr ewiges Herdfeuer vergrößert?

LeerDas Antlitz der „Mutter” Kirche ist verhüllter denn je, und der Altar steht leer und seines Sinnes beraubt. Was soll angesichts dieses Schicksals der Mutter Kirche das Schicksal der armen sterblichen Erdenmutter sein?! - Auch ihr Herd steht unbeachtet und vergessen, und mit oft übermenschlicher Mühe hält sie das Feuer darauf lebendig. Jeremias Gotthelf sagt: „Es ist auch eigentlich die alte, ächte Hausfrau, welche das Feuer anzündet im Hause des Morgens und des Abends es löscht; sie ist des Feuers Herrin, und das Feuer ihr Diener, sie ist des Hauses Priesterin, sie wahret, sie brauet des Hauses Segen auf ihrem Herde. Es ist etwas wunderbar Ehrwürdiges und Altertümliches in diesem Beherrschen des Herdes”... und Walter Muschg („Gotthelf” C. H. Beck-München) fügt hinzu: „Wirklich sind ja die Frauen einmal Feuerpriesterinnen gewesen, weil der Herd eines der frühesten Heiligtümer war.”

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LeerWie steht es heute um den Herd? Mann und Kinder sind Kostgänger und Schlafstelleninhaber geworden. Des Herdes Feuer wärmt und nährt vielleicht noch den Leib, aber die Geister fesselt es nicht mehr, die sprühen und nomadisieren frei durch alle Räume. Schulen und Erziehungsanstalten aller Art, Berufe, Ämter und Ehrenämter, Parteien, Klubs, Bünde und Vereine teilen sich in den Raub. Hier hilft auch die Kirche mit, aber gewiß nicht die „Mutter” Kirche. Die Schuldfrage, warum das Alles so wurde, sei hier nicht aufgerollt. Aber auch die Hausmutter, die noch um den Wert des Herdes weiß, wird heute mit in den Strudel der Veranstaltungen hineingerissen. Seltsame Dinge gehen in diesen Veranstaltungen vor: es gibt darin eine wachsende Menge, die guten und besten Samen ausstreuen, Samen rechten männlichen Geistes und männlicher Kraft. In Lied, Wort und Spiel wird heute vielfach wieder bester Same ausgestreut. Aber niemand denkt daran, daß zu dem Samen ein stiller mütterlicher Boden gehört, auf dem er wachsen kann. Das echte Lied, der edle Choral, Märchen und Legende, Geschichte und Sage und das schlichte Laienspiel sollen dem Herde dienen, und diese ihre Bestimmung wird auch immer wieder betont. Aber wie ein ungeduldiges Kind das eben keimende Pflänzchen schon wieder aus dem Boden zieht, um nachzusehen, ob es Wurzeln schlug, so reißt eine neue Veranstaltung das Pflänzchen der vergangenen wieder heraus, und wo und wann sollte etwas wachsen können?! Bei wem?! Für wen?! Wir treiben Samenfrevel.

LeerNur tiefe Einkehr und Umkehr, volle Einsicht in das Wesen von Herd und Altar könnten uns hier retten. Erhalten leiblichen und geistigen Lebens, Verwalten der heiligsten Güter der Vergangenheit für die Zukunft, Gestalten des Ungestalteten: das sind die Ämter der Mutter, das sind die Gaben des Altars sowohl wie des Herdes. Die Mutter Kirche hält die heiligste Ähre in Händen, das Brot des ewigen Lebens, den Leib Christi, Nahrung und Same der Ewigkeit für die Ewigkeit; die irdische Mutter teilt den Ihrigen und allen Gästen des Herdes das irdische Brot aus. Die Muffer Kirche bewahrt und verwaltet die Offenbarung Gottes in dem Sohne und seine Leibwerdung auf Erden, ihre eigene Geschichte durch die Jahrtausende, das Gedächtnis aller ihrer toten Söhne und Töchter. Die irdische Mutter bewahrt und verwaltet alle lebendige Geschichte der vergangenen Geschlechter ihres Herdes und darüber hinaus ihres Volkes, bewahrt sie für hie Kommenden. „Sie ist die Mittlerin zwischen Gott und den Ihren, die sichtbare Vorsehung, die allgegenwärtige Schaffnerin Gottes.”

LeerDie Mutter Kirche gestaltet und heiligt das Leben ihrer Kinder vom ersten Schrei bis zum letzten Seufzer, sie weiht Kindheit, Jugend, Ehe und dem allmächtigen Vater, sie weiht die Zeiten und die Früchte des irdischen Tages und Jahres, zieht sie hinein in das göttliche Geschehen, gibt allem Werden, Reifen, Sterben und Vergehen ein zeitloses und unverkennbares Antlitz. Und hier im Dienste des Kirchenjahres kann die irdische Mutter ihre Verwandtschaft mit der Mutter Kirche am tiefsten bezeugen. In unausschöpfbarer Fülle stehen Spruch und Gebet, Lied und Choral bereit, um mit dem Dienste des Herdes den Dienst des Altars vorzubereiten und lebendig zu erhalten. Die arme vergängliche Mutter des Herdes und die ewige Mutter Kirche sammeln und vereinigen ihre Kinder um Herd und Altar. -

LeerVom Mittelpunkt der Kirche grüßt uns der Altar, und mütterliche Arme umfangen von dort aus, gleichmäßig nach beiden Seiten ausgestreckt, die Gemeinde. Vom lebendigen Herde sollte uns in gleicher Stille und Kraft die Mutter grüßen; jede in ihrer Art und von Gott beauftragt: Erhalterin, Verwalterin und Gestalterin zugleich.

Das Gottesjahr 1933, S. 95-98
© Bärenreiter-Verlag zu Kassel

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-02-12
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