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von Paul Girkon |
Beim westdeutschen Kirchenbaukongreß in Essen, im Herbst 1929, wurde in der Aussprache die Forderung erhoben, daß die Kirchenräume der Großstadt sich aus dem Straßenbild zurückziehen und sich in Kellergeschossen bergen sollen. Entwürfe einer derartigen „Kellerkirche” wurden auf der Ausstellung gezeigt, die mit der Tagung verbunden war. Die Begründung dieser zunächst so seltsam erscheinenden Forderung ist so bedeutsam, daß sie gehört und durchdacht werden muß. Aus dem Leben und Treiben einer modernen Großstadt sind alle Engelmächte der Frömmigkeit und Innerlichkeit so gänzlich verbannt, daß Kirchen in ihr heimatlos sind. Wenn das Kirchengebäude die Aufgabe empfängt, dem Stadtbild ästhetisch-architektonische Reize zu geben, dann wird es von der Dämonie des Profanen ergriffen und seinem eigentlichsten Charakter entfremdet. Die posenhaft zur Schau gestellte Feierlichkeit neumittelalterlicher Kirchen in Berlin, Essen und anderswo ist ein sehr ernstes Zeugnis für diese Gefahr. Das Kirchengebäude hat nicht die Aufgabe, mit modernen Großbanken profaner Lebensbereiche in Konkurrenz zu treten. Es kann und soll nicht mehr die „Stadtkrone” bilden, wie in der Stadt des Mittelalters, deren Alltagsleben sich von der Sonntagswelt des Glaubens noch nicht losgesagt hatte. Die Kirche der Gegenwart hat nicht den Auftrag, ihrer Verkündigung die große, monumentale Form zu geben. Und deshalb ist dem christlichen Künstler auch nicht die Kraft gegeben, in Riesenmaßen zu bauen und zu bilden. Es ist eine verhängnisvolle Verkennung der kirchlichen Gegenwartslage und Gegenwartsaufgabe, wenn die kirchliche Arbeit nach den Massen ruft, ihnen nachgeht und sie mit allen Mitteln kirchlicher Werbungstechnik bei der Kirche festhalten oder in die Kirche zurückführen möchte. Sondern die Kirche soll sich suchen lassen. Sie soll kostbar werden durch Verborgenheit. Sie soll ihre Kirchengebäude nicht dorthin stellen, wo sie weithin sichtbar sind. Es ist ein symbolisches Gericht über die Einschaltung der Kirche in den weltlichen Konkurrenzkampf, daß die Riesenmaße der Profangebäude alle krampfhaften Anstrengungen der Kirchtürme, über die Dächer emporzusteigen, zunichte machen und als lächerlich erscheinen lassen. Deshalb soll die Kirche auch in ihren Bauten die Verborgenheit aufsuchen und bewußt auf jedes Wetteifern mit monumentalen Profanbauten verzichten. Es hieße, die prinzipielle Bedeutung der „Kellerkirche” mißverstehen, wenn man sie als eine kleine Aufgabe praktischer Zweckhaftigkeit verwirklichen wollte: indem man in der Unruhe des großstädtischen Straßenlebens leicht zugängliche unterirdische Kapellen stiller Sammlung und Besinnung schaffen würde. Sondern sie ist ein Wahrzeichen der gegenwärtigen kirchlichen Situation. Ein Zweifaches ist an den in ihr verdichteten Gedankengängen sehr beachtlich: sie stammen nicht aus dem Pfarrerstand, sondern von Laien, die auf künstlerischem Gebiet arbeiten. Sie sind ein Zeichen unter vielen andern, mit welchem Ernst der Künstler zu der kirchlichen Aufgabe Stellung nimmt. Es genügt ihm nicht, sich mit formalen Lösungen zu beschäftigen, sondern er fragt nach dem Sinn der Kirche und will aus der inneren Kraft dieses Sinnes gestalten. Denn er sieht in der Gestalt die Wirklichkeit des Geistes. Aber neben dieser symptomatischen Bedeutung ist die Forderung der Kellerkirche gar nicht ernst genug zu nehmen als Protest gegen die unabsehbar große Gefahr der Verweltlichung. Es wird in der heutigen Großstadt oft genug Kirchbausituationen geben, in denen ein Monumentalbau inmitten profaner Großbanken einfach eine Lüge wäre und in denen die Gemeinden mit ernster Verantwortung die Frage nach der „verborgenen Kirche” prüfen sollten. Aber die Gefahr dieses Protestes ist seine doktrinäre Verabsolutierung. Es ist einfach unrichtig, daß die christliche Kunst der Gegenwart nicht den Auftrag und die Fähigkeit empfangen hat, ein inwendiges Übermaß in äußerer Großform zu verkörpern. Freilich ist gerade die monumentale Form weitaus am stärksten der Versuchung ausgesetzt, wirken zu wollen und posenhafter Schaustellung zu verfallen. Christlich-kirchliche Gestaltung ist überall und gänzlich Gestaltung aus dem Glauben. Und wenn der Glaube ein Senfkorn ist und in der Verborgenheit der Tiefe aus kleinster Zelle zu keimen beginnt, so ist er doch zugleich das innere Übermaß, das Berge verseht. Und dieses innere Übermaß mangelt kirchlicher Arbeit wenigstens ebensosehr und ebenso folgenschwer, wie der Trieb zum Neubeginn ans Verborgenheit und Stille. Es ist für die Zukunft der Kirche entscheidend, ob sie die Verheißung ihres Herrn ernst nimmt: ihr werdet größere Werke tun. Der Glaube an das größere Werk ist die zentrale Kraft kirchlicher Gestaltung. Diese Verheißung des Herrn Christus gehört zu den Worten vom Bergeversetzenden Glauben und vom Gebet, dem die Erfüllung nicht versagt werden kann und dem kein Ding unmöglich ist. Und wir ahnen den Sinn solcher Verheißungen darin, daß nur das Unmögliche das einzige Ziel ist, nach dem es sich zu trachten lohnt; daß nur der auf dem Weg zum Reiche Gottes um einige Schritte vorwärts dringt, der von einem unerreichbaren überweltlichen Ziel unentrinnbar gebannt wird; und daß nur das Wunder das eigentliche Werk des Glaubens ist, weil es das Werk nicht des Jüngers, sondern des Meisters, nicht des menschlichen Werkzeugs, sondern des göttlichen Geistes ist. Der unsichtbare Herr der Kirche will in der Gestaltung seines sichtbaren Leibes das größere Werk durch die Seinen selbst vollbringen. Aber nur wenn das innere Übermaß des Glaubens wagt, die Verheißung des Meisters ernst zu nehmen, wird der Jünger in der Kraft und Gnade der Verheißung die Aufgabe vollbringen, zu der er gesandt ist. So wird uns deutlich, daß die gegenwärtige Situation der Kirche das Eine, Entscheidende verlangt, das in sich ein Zweifaches ist: den Glauben, der sich in die Tiefe und Stille unterirdischer Verborgenheit hinabsäen läßt, um senfkornartig zu beginnen. Der aber zugleich mit grenzenlosem Übermaß auf die Verheißung seines Meisters schaut: ihr werdet größere Werke tun und euch wird kein Ding unmöglich sein. Das Gottesjahr 1933, S. 67-70 © Bärenreiter-Verlag zu Kassel [Entwurf einer Kellerkirche 1930: Ulrich Pantle - Leitbild Reduktion S. 143] |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 13-02-12 |