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von Alfred Dedo Müller |
So chaotisch das Geschehen unserer Tage auch immer anmuten mag: es heben sich doch immer schärfer gewisse bleibende Züge heraus. Dazu gehört vor allem auch das leidenschaftliche Drängen auf eine durchgreifende Neuordnung aller Weltverhältnisse. Auf Deutschland gesehen war es durch das ganze 19. Jahrhundert hindurch bis zum Weltkrieg noch so, daß einer weltanschaulich und politisch fortschrittlich oder revolutionär gerichteten „Linken” eine weltanschaulich und politisch konservativ gerichtete „Rechte” gegenüberstand, die die Welt auf unwandelbare Ordnungen gegründet und sich zu deren Verteidigung verpflichtet sah. Das ist heute völlig anders. Heute steht neben der „Revolution von links” eine „Revolution von rechts”. Damit ist auch die Kirche vor eine völlig neue Lage gestellt. Heute unterscheiden sich „rechts” und „links” nur dadurch, daß sie bei gleicher revolutionärer Grundhaltung für dieselbe Frage der Weltverbesserung mit gleicher Heftigkeit innerlich gleichgeartete und nur in ihrer äußeren Auswirkung verschiedene Lösungen geltend machen. In solchem Streit der Meinungen muß die Kirche, soll sie in einer so wesentlichen Sache nicht endgültig alle Eigenständigkeit und Würde verlieren, sich endlich auf sich selbst besinnen und von ihrem eigenen Boden aus auf eine Frage Antwort suchen, die sich dem Lebensgefühl des heutigen Menschen unaustilgbar eingeprägt hat. Da muß nun zunächst einmal deutlich hervortreten, daß die Kirche der Ort ist, an dem bei nüchternster Weltbeurteilung Hoffnungen für die Welt lebendig sind, größer und mitreißender als alles, was heute die Gemüter bewegt. Es sei nur an die wichtigsten Züge dieser Welthoffnung erinnert. Die Welt gilt hier als die Schöpfung Gottes. Es wird also behauptet, daß sie Ursprung, Sinn und Ziel vom schlechthin Vollkommenen gewinne und daß ich sie dem gemäß nur verstehe, wenn ich mit meinem Blick nicht an der notvollen Außenseite ihres Daseins und Soseins hängenbleibe, sondern wenn sie mir mit allen ihren Bedrängnissen sozusagen durchsichtig wird für den letzten Grund ihrer Wirklichkeit, wenn mir Himmel und Erbe bis zum letzten Grashalm hin, auf den meine Füße treten, „des Ewigen Ehre verkünden”. Diese Erlösungserwartung des Christentums ist nicht nur groß und umfassend genug, um alle Hoffnungen, die man für das Weltleben überhaupt hegen kann, aus sich zu entbinden und in sich aufzunehmen. Sie stammt auch aus einer so unüberbietbar nüchternen Auseinandersetzung mit der wirklichen Welt, daß sie schlechterdings als Prüfstein aller Hoffnungen auf Besserung der Weltverhältnisse angesehen werden muß. Dann wird freilich auch die ganze Tiefe des Verhängnisses deutlich, das in der Abwendung aller Welthoffnung vom Christentum über die abendländische Kulturwelt und das deutsche Volk im Besonderen gekommen ist. Hier liegt nun sicherlich auch eine Schuld der sichtbaren Kirche vor, die es offenbar nicht verstanden hat, klar zu machen, daß jede Aussage über Gott zugleich eine Aussage über die Welt, die Beziehung des Menschen zu Gott also bei rechter Entfaltung zugleich eine Hoffnung für die Welt bedeutet. Denn das ist doch sicher der eine Grund für die durchgehende Verweltlichung alles Erneuerungswillens unserer Tage, daß die Meinung herrschend geworden war, das Christentum kümmere sich gar nicht in irgendeinem ernsthaften und praktisch wirksamen Sinn des Wortes um die Welt, sondern vergleichgültige sie nur, lasse sie als Jammertal erscheinen und habe es lediglich darauf abgesehen, der Einzelseele durch Abkehr von der Welt den inneren Frieden zu sichern. So wenig diese kirchliche Schuld also abgeschwächt werden soll, so muß nun doch auch gesehen sein, daß es darüber hinaus einen ewigen Widerstand gegen den Gedanken der Welterlösung gibt, der ganz tief im Wesen des Menschen begründet liegt und eben mit seinem Fall und seiner Erlösungsbedürftigkeit zusammenhängt. Erscheint es uns nicht leichter und erfolgversprechender die Welt von außen, statt von innen, mit handgreiflichen Mitteln von der Welt, statt von Gott her zu erneuern und selbst als Erlöser aufzutreten, statt sich erlösen zu lassen? Die Bibel hat dafür zuletzt die einzig wirklich stichhaltige Erklärung. Der Abfall des Menschen von Gott läßt ihn ein völlig falsches Wirklichkeitsbild gewinnen. Dem gegenüber gilt es nun zu sehen, daß es nur einen einzigen Weg zu wirklicher Welterneuerung gibt, das ist der Glaube an die Erlösung der Welt im christlichen Sinn des Wortes. Nur hier waltet der Mut, die Welt zu sehen, wie sie ist, anzuerkennen, daß ihre Not nicht an der Peripherie, sondern im Zentrum liegt und daß sie der Grundbedrohungen, auf die alle ihre Einzelnöte zurückgehen, der Sünde und des Todes nicht aus sich, sondern nur von Gott her Herr werden kann. Die Erwartung eines durchgreifenden Wandels aller Weltverhältnisse, wie sie heute in säkularisierter Form rechts und links, bei Kommunisten und Nationalsozialisten, Demokraten und Humanisten wirksam ist, muß heimgeholt werden in den Glauben an die Erlösung der Welt von Gott her. Dann erst können Kräfte wirklicher Erneuerung auf allen Einzelgebieten des Lebens wirksam werden. Nur wer nicht an die Welt glaubt, kann der Welt helfen. Es gibt aber nur ein untrügliches Zeichen dafür, ob eine Generation auf dem Wege zu wirklicher Welterneuerung ist. Das ist die Beziehung zwischen dem Ich und dem Du. Für das Neue Testament ist die Liebe zum Bruder schlechterdings der Erkenntnisgrund dafür, ob jemand an die Welt glaubt oder an Gott. Aller Glaube an irdische Güter und seien es die höchsten, trennt den Menschen vom Menschen. Daher ist die zunehmende Verfeindung gerade der politischen Gruppen in unserem Volk, die am leidenschaftlichsten auf Weltwandel bestehen, ein untrügliches Zeichen dafür, daß die hier wirksamen Welthoffnungen aus einer falschen, die Welt in Unordnung bringenden Weltgläubigkeit stammen. Einigung zwischen Mensch und Mensch gibt es nur im Glauben an den in Christus offenbar gewordenen letzten Sinn- und Wirklichkeitsgrund alles Daseins. Christus offenbart uns eben, daß Gott Liebe ist. In der Liebe zum Bruder allein verbinden wir uns mit der Macht, von der alle Welterneuerung ausgeht, weil sie Ursprung und Ziel alles Weltlebens ist. Wir sind immer wieder geneigt, uns einzubilden, unsere Zeit erst hätte entdeckt, daß es auf der Welt anders werden müsse. Die Hoffnung auf den Durchbruch des Lichtes in aller Dunkelheit des Weltlebens stammt ans dem Neuen Testament. Darum kann jedem, der ernstlich unter der Welt leidet und sich neuen Verhältnissen entgegenstreckt, nur das Johanneswort zu immer neuer Besinnung und Wegweisung empfohlen werden: Die Finsternis vergeht, und das wahre Licht scheint jetzt. Wer da sagt, er sei im Licht und hasset seinen Bruder, der ist noch in der Finsternis. Wer seinen Bruder liebt, der bleibt im Licht und ist kein Ärgernis bei ihm. Wer aber seinen Bruder hasset, der ist in der Finsternis und wandelt in der Finsternis und weiß nicht, wo er hingeht; denn die Finsternis hat seine Augen verblendet (1. Joh. 28-11). Das Gottesjahr 1933, S. 56-59 © Bärenreiter-Verlag zu Kassel |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 13-02-12 |