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1932
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Der Mensch im Garten Eden
von Karl Bernhard Ritter

1. Mose 2, V. 8-9a.

LeerIm Garten des Paradieses erwacht der Mensch zum Leben. Die grünende, blühende Erde umfängt ihn. „Gras, Kraut und fruchtbare Bäume” machen ihm die Erde zur Heimat. Die Pflanze wandelt die dunkle, tote Erde in lebendiges Wachstum, deckt sie mit einem vom Lichte getränkten, farbigen Kleid und schenkt dem Menschen die Frucht der Vermählung irdischer und himmlischer Kräfte. In der Pflanze einen sich die Elemente der ganzen Schöpfung, die blauen Wasser der Tiefe und das goldene Feuer der Gestirne, die Schwere der irdischen Kristalle und der leichte Atem der Winde. In der Pflanze offenbart sich dem Menschen das Zusammenwirken aller Bildekräfte des Alls. Sie lebt an der Grenze zwischen Himmel und Erde. Sie kommt aus der dunklen Tiefe und streckt sich in die lichte Höhe und Weite. Sie kann nur leben, weil sie den irdischen Stoff in sich einsaugt, sie kann nur grünen und blühen, weil sie angestrahlt wird von den Kräften der Gestirne. In der Pflanze wird offenbar, daß unsere Erde mit den Kräften der außerirdischen Sphären verbunden ist. Nur weil der gestirnte Himmel auf die Erde einwirkt und die Erde ihm antwortet im Wunder der Pflanze, kann sie dem Menschen Heimat sein, ein Garten Eden.

Matth. 6, V. 28-29.

Leer„Schauet die Lilien auf dem Felde, wie sie wachsen; sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht”. Ihr Wachstum und Leben empfangen sie von ihrem Schöpfer. Alles Wachstum ist geheime Wirkung der schaffenden, bildenden Kräfte, die das All erfüllen. „Schauet die Lilien auf dem Felde!” Alles Leben und Werden ist Geschenk. An der Pflanze schauen wir das Wunder der Wandlung. In der Hingabe der Erde an den Himmel empfängt sie das Geschenk des Lebens. Das Licht, das von oben kommt, gibt ihr Farbe und Leuchtkraft. Die Pflanze ist schön, weil sie blühend dem segnenden Lichte antwortet, weil in ihrer Blüte die dunkle Erde sich dem Lichte öffnet.

LeerIn der Blüte offenbart sich die Seele der Pflanze. In der Blüte hat die Pflanze ihr Gesicht. Ein anderes Gesicht hat die Lilie, ein anderes die Rose. Klar und rein leuchten die Blütensterne auf der Höhe der Berge, wo sich die Erde dem Himmel entgegenhebt; glühend wie Rausch und Traum schwanken die Blütenzweige in den feuchten Niederungen der Tropen, wo die Erde die Sonnenglut in ihren Schoß aufnimmt. Das All ist erfüllt von seelenhaften Kräften, ist unserer Seele verwandt. Weil sie in dem Gesicht der Blüten zu uns spricht, wissen wir, daß diese Erde uns nicht fremd ist, ahnen wir, daß wir ihr verwandt sind. In uns schaffen und bilden die gleichen Kräfte. Die Erde ist die Heimat der Seele, ein Garten Eden. Gott setzte den Menschen hinein in den Garten, den er gepflanzt hatte.

Leer„Ich sage euch, daß auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht bekleidet gewesen ist wie derselben eins”. Die Lilie und die Rose loben den Schöpfer. Sie sind Gebilde seiner Hand. Darum schmücken wir den Altar mit den Blüten des Jahres. Die irdische Welt dankt in ihrer schweigenden Schönheit dem, der sie segnet mit dem Licht der Sonne und den Strahlen aller Gestirne, mit dem lebendigen Odem, der die Schöpfung erfüllt. Sie dankt dem, der ihr eine Seele einhaucht und sie lebendig macht.

LeerLilien und Rosen schmücken das Bild der reinen Magd, die demütig bereit ist, das Wunder des Geistes in sich zu erfahren.

Mark. 4, V. 26-29.

Leer„Das Reich Gottes hat sich also, als wenn ein Mensch Samen aufs Land wirft und schläft und steht auf, Nacht und Tag; und der Same geht auf und wächst, daß ers nicht weiß.” Denn das Reich ist seine Schöpfung. Er wirkt es. Du Mensch bist der irdische Boden, in dem er das Wachstum seines Reiches weckt. Laß an dir geschehen, was er wirken will, wie die Erde an sich geschehen läßt, was die Kräfte des Himmels an ihr tun. Sie wandeln die Erde im Wunder des Wachstums. Seine Kraft will dich verwandeln. Er will, daß du seiner Liebe antwortest durch die Blüte deiner Liebe. Deine Liebe aber ist, wie die Blüte, Öffnung für seinen Segen, Hingabe an sein Licht.

Leer„Der Same aber wächst, ohne daß ers weiß”. Du bist es nicht, der Blüten treibt und Früchte bringt. Es geschieht an dir. Es ist ein Wunder und geschieht im Verborgenen. Es ist immer unbegreifliche Gnade.

Leer„Wenn sie aber die Frucht gebracht hat, so schickt er bald die Sichel hin, denn die Ernte ist da.” Ihm gehört die Frucht. Du lebst nicht dir, du lebst ihm, der dir das Leben gibt. Der Sinn dieses Daseins erfüllt sich in dem, was in deinem Leben für ihn reift. Diese Welt hat ihre Erfüllung, ihr Ziel nicht in sich selbst. Sie ist geschaffen, damit er ernte und die Ernte heimhole in seine Scheuern.

Evgl. Joh. 15, V. 1 - 8.

LeerWahrlich, es ist Christus, in dem alle Schöpfung ihr Leben hat. Er ist der Same des Baumes, der Frucht trägt, und seine Frucht bleibt. In ihm hat Gott sein Leben dieser Erde eingepflanzt. Und es begibt sich das Wunder des Wachstums. Tief hinab in die Erde senkt der himmlische Weinstock seine Wurzeln. In alle Gründe und dunklen Tiefen dringt sein suchendes, liebendes, die Erde umklammerndes Leben. Er geht ein in die irdische Welt. Und die irdische Welt wird in ihm vom Leben ergriffen und gewandelt. Der Weinstock treibt Reben, und die Reben tragen Frucht. Weit über die Erde breitet sich der Weinstock aus in immer neuen lebendigen Trieben. Die Reben, die verdorren, werden vom Weingärtner weggenommen. Die lebendigen Reben aber werden gereinigt. Das Messer setzt an und schneidet ab, was geil und unfruchtbar wuchert.

Leer„Ihr seid die Reben”. Erkennet und versteht euren Rebendienst! Die Rebe ist nichts an sich selber und für sich selber. Sie kann keine Frucht bringen, sie bleibe denn am Weinstock. Nur als Rebe am Weinstock Christus bringt der Mensch die Frucht seines Lebens. In der Rebe am Weinstock wandelt sich Erde in den Saft der Traube.

LeerChristus ist das Wunder des Lebens, in dem die Kräfte der Erde sich vermählen mit den Kräften der himmlischen Sonne. Christus ist es, der das Wasser in Wein verwandelt. Alles Gewächs „meint” den Christus. Alle Frucht „meint” den Christuswein, meint sein Blut. Es ist der Christusmensch, der wiedergeboren wird aus Wasser und Geist. Eingepflanzt dem lebendigen Weinstock, Glieder an seinem Leibe, leben wir von seinem Blute.

Evgl. Joh. 12, V. 24.

LeerWenn aber der Same in die Erde fällt, so muß er „sterben”. Er gibt seine Gestalt auf, damit das Leben, das in ihm wohnt, frei wird und Leben wecken kann. Alles Leben kommt aus dem Opfer.

LeerChristus ist der Same, den der himmlische Säemann einstreut in den Acker der Welt. Er opfert ihn in die Welt hinein. Christus muß in diese Welt hineinsterben. Er muß zur Erde werden, damit aus der Erde sich emporhebe das Wachstum, von oben gezeugt, von oben genährt, daß die Erde Frucht trage für die himmlischen Scheuern.

LeerDie Erde wird ihm, Christus, dem Samen Gottes, zum Grabe. Aber aus dem Grabe der Welt hebt sich das Leben, durch seinen Tod gezeugt. Es werden ihm Kinder geboren ohne Zahl. Die Erde ist das Grab; die Erde ist der mütterliche Schoß.

Leer„Es sei denn, daß das Weizenkorn in die Erde falle und ersterbe, so bleibts allein; wo es aber erstirbt, so bringt es viele Früchte.”

1. Mose 3, V. 17-18.

LeerGott machte die Erde zum Garten Eden, zur Wohnung des Lebens. Und er setzte den Menschen hinein, den ER gemacht hatte. Aber der Mensch bricht die heilige Ordnung des Schöpfers. Er will selber sein „wie Gott”. Die Schlange verführt ihn. Er verfällt der Lüge, dem Wahn der Eitelkeit. Er reißt sich los von dem Grunde, der ihn trägt und nährt. Er verschließt sich dem Himmel, der ihn segnet. Er will das Leben haben „in ihm selber.”

LeerDa verwandelt sich der Garten Eden und wird zum Fluchacker. Nun muß der Mensch dem Boden die Nahrung abringen. Nun muß er im Schweiße seines Angesichts kämpfen mit der feindlichen Erde. Sie weigert ihm, dem angemaßten Herrn, den Gehorsam und trägt ihm Dornen und Disteln. Und sie seufzt nach ihrer Erlösung. Sie seufzt unter dem Dienste der Eitelkeit, dem sie unterworfen ist ohne ihren Willen. Sie wartet, daß der Mensch, der eitle Herr der Erde, frei werde, frei werde von sich selbst in der Kindschaft Gottes. Sie ist dem Menschen unterworfen „auf Hoffnung”. Mit ihm wird sie frei werden. Sie wird frei werden von dem Dienste des vergänglichen Wesens „zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes”.

Leer„Maria durch ein' Dornwald ging, Kyrie eleison!” Sie trägt unter ihrem Herzen das Kind Gottes. Da blühen die Dornen auf und tragen Rosen. Die Erlösung naht.

LeerEr steht vor uns, das Kind Gottes, Christus, in der Majestät des Leidens, in der Herrlichkeit seiner Liebe. Die Dornen des Fluchackers hat die Welt ihm um die Stirne gewunden. Wie Rosen hängen die Tropfen seines Blutes im Dornenkranz. Er wandelt den Fluch in Segen. Aus dem Leid der Erde wird dem Menschen die ewige Weisheit geboren. Christus wandelt die Leiden und Schmerzen der Erde in himmlische Weisheit und Güte. Die Offenbarung der Kinder Gottes hebt an. Es wird erfüllt, was geschrieben sieht, daß die Kreatur der Eitelkeit unterworfen ist „auf Hoffnung”. Aus dem brennenden Dornbusch spricht zu Moses der „Ich bin, der ich bin”. Unter Schmerzen wird der Erde das freie Gotteskind geboren. Es wird wahr, was die Schlange gegen ihren Willen bezeugen muß: „Ihr werdet sein wie Gott”. Und der Schlange wird der Kopf zertreten.

Offbg. Joh. 22, V. 1 - 2.

Leer„Und der auf dem Stuhle saß, sprach: ‚Siehe, ich mache alles neu’”. Johannes sieht den neuen Himmel und die neue Erde, das neue Paradies, den Garten Eden. Seine Bäume wachsen auf an dem Strom des lebendigen Wassers, der ausgeht von dem Throne Gottes und des Lammes. Nun hat sein Blut die Erde verwandelt, die es trinkt im Opfer seiner Liebe. Und die Bäume, getränkt von dem Lebensblut dieser Liebe, tragen Früchte ohne Unterlaß. Und die Heiden kommen und finden ihre Speise, eine Speise der Gesundung, eine Nahrung des ewigen Heils. Nun ist Erfüllung geworden dem ängstlichen Harren der Kreatur. Es ist wahr geworden, was im Anfang war: Gott, der Herr, pflanzte einen Garten in Eden gegen Morgen und setzte den Menschen hinein, den er gemacht hatte. Und Gott, der Herr, ließ aufwachsen aus der Erde allerlei Bäume, lustig anzusehen und gut davon zu essen, und den Baum des Lebens mitten im Garten, Christum.

Leer„Ich halte aber dafür, daß dieser Zeit Leiden der Herrlichkeit nicht wert sei, die an uns soll geoffenbaret werden.”

LeerDas Gottesjahr 1932, S. 71-75
© Bärenreiter-Verlag zu Kassel

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-11-27
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