titel

Startseite
Jahrgänge
1926
Autoren
Stichworte
Neue Seiten

Vollendung
von Wilhelm Stählin

Ich habe vollendet das Werk, das du
mir gegeben hast, daß ich es tun sollte.
(Joh. 17, 4.)

LeerVollendung liegt jenseits dessen, was uns Menschen vergönnt und möglich ist. Wann dürften wir ein Tagwerk oder Den Arbeitskreis einer Woche beschließen mit dem Hochgefühl: ich habe mein Werk vollendet; wann dürften wir irgendein Werk aus der Hand legen mit dem Glauben, es sei „vollendet”? Wir Menschen, die wir niemals fertig werden; die wir bei jedem späten Feierabend erdrückt werden von der Fülle dessen, das morgen zu tun sein wird, und die wir, wenn wir einmal „fertig” sind, erst recht verstehen, wie ganz anders und wie viel besser wir alles hätten machen sollen; wir, die wir einmal ein unvollendetes Lebenswerk aus der Hand geben müssen, um unser Leben selbst als ein unvollendetes Werk zu enden: wir können und müssen wohl „enden”, aber niemals vollenden, und das Wort Vollendung scheint uns gänzlich verwehrt.

LeerVollenden kann allein Gott. Auch Gottes Werk ist niemals fertig in dem Sinn, daß es nun abgeschlossen wäre wie ein Hand-Werk, das der Meister beiseite legt, weil nichts mehr daran zu tun oder zu bessern ist. Gottes Wirken ist ohne Pause und ohne Rasttag, und ein jedes Ding und Geschehen wird zum Ausgangspunkt eines neuen Werdens und Geschehens. Aber eben darin ist alles Tun und alle Geschichte vollendet, daß sie an ihrem Ort in einen lebendigen Zusammenhang der Welt eingegliedert ist und fruchtbar wird in neuer Tat und neuem Schicksal. Wir wissen niemals, was unser Werk in Wahrheit „wirkt”; und darum - im letzten Grunde - ist es für unsere Augen niemals „vollendet”. Aber eben das, was wir nicht vermögen, ist das eigentliche Werk des göttlichen Waltens; er fügt unser geringes und vereinzeltes Tun in ein Ganzes, das wir nicht überschauen, sinnvoll ein; er läßt Wirkung daraus entspringen, vielleicht ganz jenseits unserer Absicht und unseres Planes; er kann dann, was in Schwachheit begonnen und geendet ist, mit einer geheimen Kraft begnaden, und stellt auch unser Fehlen und Versäumen in seinen Dienst. Er baut ohne Unterlaß an seinem ewigen Werk und will es vollenden; aber alle Menschen, die Gehorsamen und die Widerstrebenden, alle Taten und Werke, die guten und die bösen, stellt er in seinen Dienst, um an ihnen und durch sie zu vollenden, was er „von Ewigkeit zu Ewigkeit” tut.

Linie

LeerSo empfängt unser Tagwerk mit Leistung und Fehlern seinen letzten Sinn erst von der Vollendung der Welt her. Erst in dieser unauflöslichen und geheimnisvollen Verknüpfung, die wir nicht durchschauen, aber manchmal mit Staunen und darum mit Erschrecken oder Freude an einzelnen Punkten durchleuchten sehen, ist das Werk eines jeden Tages und unseres Menschentages überhaupt vollendet. Darum „vollenden” wir unser Werk eben damit, daß wir es, so wie es geworden ist, in die Hand Gottes legen, daß er das Unfertige und Unvollkommene vollende. Es gibt keine andere Vollendung im Bereich des menschlichen Lebens, als daß wir das Werk, das „uns gegeben ist, daß wir es tun sollen”, demütig dem „letzten Gericht” unterstellen und willig einordnen, willig in den großen Zusammenhang des Lebens, der nicht unser Werk ist.

LeerDas aber ist auch wirklich die Vollendung des menschlichen Werkes. Es ist töricht, wenn wir dem ehrgeizigen Ziel nachjagen, irgend etwas „Vollendetes” und Endgültiges zu schaffen! Die Vollkommenheit, zu der wir berufen sind, liegt an einem anderen Ort. Nicht in der Weite und Wirkung, sondern in der Tiefe und dem Ernst unseres menschlichen Werkes liegt seine menschliche Vollendung. Die Glut des Herzens, die Kraft des Vertrauens, die Tiefe der Liebe, die wir in unser Tun legen, gibt ihm seine Fülle und seinen Wert und  v o l l -endet das Werk. Darum ist wohl manch großes und stolzes Werk, das nach Jahren der Mühe „vollendet” ist, ein Stückwerk vor Gott, und ein kleinster Dienst der Liebe, die kleinste Tat, die „aus dem Glauben” geschieht, ein vollendetes Werk. Darum ist wohl auch das Spielen des Kindes ein vollendetes Werk, während manch stolzes Manneswerk dazu verurteilt ist, unvollendet zu sein, auch wo es fertig geworden ist.

Leer Darum kann immer nur das Kind des Vaters sagen: Ich habe vollendet das Werk, das du mir gegeben hast. Es ist nie fertig auf Erden, und auch das Werk des Sohnes „vollendet” der Geist in alle Ewigkeit. Aber immer, wo Gott in seinem Sohn sein Werk tut, ist es vollendet in jedem Augenblick.

Das Gottesjahr 1926, S. 114-115
© Greifenverlag Rudolstadt (Thür.)

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-12
TOP

Impressum
Haftungsausschluss