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Das Dämonische in der Welt
von Wilhelm Stählin

Die Welt haßte sie; denn sie sind nicht
von der Welt, wie auch ich nicht von
der Welt bin.             (Joh. 17, 14.)

LeerDas Rätsel des Leidens bleibt das Rätsel unseres Lebens und der Welt. Keine Erklärung und keine Theologie macht es zu einer einleuchtenden und wohlbegründeten Sache, daß wir Menschen leiden müssen in der Welt. Es ist, wenn das Leid uns auf dem Wege überfällt, gewiß ungerecht und töricht, alsbald nach dem Schuldigen zu fragen, der uns das angetan habe. Hat es uns denn jemand angetan?

    Christus hat seine Jünger darauf vorbereitet, daß sie von einem Welthaß getroffen werden würden und unter diesem Welthaß zu leiden haben würden. Es gibt in der Tat einen tiefen Haß des Unedlen gegen das Edle, des Niederen gegen alles Höhere, einen ewigen Kampf der blinden und von unreinen Geistern getriebenen Masse gegen die Menschen, in denen sich ein höheres Leben offenbart. Alles was zu wahrem Leben berufen ist, ist dazu verurteilt in der Welt, unter der „Welt” zu leiden, und eben in diesem Leiden offenbart sich erschütternd ihr tiefes Anderssein, der unüberbrückbare Zwiespalt zwischen der „Welt”, zu der auch die natürlichen Regungen des gewöhnlichen Menschen gehören, und den Offenbarungen der Wahrheit.

    Aber es ist gefährlich und eine Verführung zu heillosem Hochmut, sich selbst in dieser Rolle des Leidenden zu wissen und sich dieses Welthasses als des Siegels der eigenen Würde und Berufung zu rühmen. Denn wir selber sind Welt und nehmen teil an dem Welthaß gegen das Gottesleben. Wir sind nicht nur die Leidenden, sondern wir erzeugen zugleich Leid. Der große Riß geht nicht zwischen uns und den „anderen”, sondern durch unser eigenes Leben hindurch.

    Es liegt eine dämonische Gewalt in der Welt; eine dämonische Gewalt der Lüge und der Ungerechtigkeit, des Irrtums und der Sünde. Diese dämonische Gewalt scheint das Leben zu hassen, sie muß zerstören und verderben. Nicht nur die furchtbaren Ausbrüche menschlicher Verworfenheit, sondern auch schon die unheimlichen Gewalten, die in der „unvernünftigen” Natur wüten, scheinen eine Freude daran zu haben, Entwicklungsmöglichkeiten abzuschneiden und aufblühendes Leben zu vernichten. Darum ist alles Leben einem Welthaß gegenübergestellt und auf den Kreuzweg eines unerbittlichen Leidens gezwungen. Und dieses Leben ist doch selbst ein Stück dieser Welt. Dem Selbsterhaltungstrieb und der wunderbaren Organisation alles Lebens steht ein Selbstzerstörungsdrang der Welt gegenüber als eine rätselhafte Urtatsache.

    Dieser dämonischen Selbstvernichtung des Lebens kann nur die Liebe standhalten und begegnen, die dem Dämonischen das Göttliche gegenüberstellt und sich an eben die Welt hingibt, unter deren zwiespältigen Leben sie leidet. Darum ist die Selbsthingabe Gottes die Wahrhaft göttliche Antwort auf die Selbstzerstörung der Welt und es ist der Sieg des Menschen, daß er sich in eben die Welt senden läßt, deren „ur-weltlicher” Haß ihn bedroht und verfolgt. Und erst damit bewährt der leidende Mensch, daß er wahrhaft nicht „von dieser Welt” ist, daß er nicht nur unter dieser Welt leidet, sondern dem dämonischen Haß mit der göttlichen Liebe begegnet.

Das Gottesjahr 1926, S. 104-105
© Greifenverlag Rudolstadt (Thür.)

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-12
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