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1926
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Mensch und Volk
von Heinz Dietrich Wendland

LeerDer Mensch erlebt allemal eine neue Geburt, wenn ihm eine neue Wirklichkeit umfassend und überwältigend aufgeht. Echtes, schöpferisches Leben ist da, wo der Mensch von einer solchen Geburt zur anderen fortschreitet, wo ihm im Sterben und Werden immer neue Lebenskreise mit ihren Kräften und Möglichkeiten sich auftun. Der Mensch wandert; aber die unerschöpflich schöpferische Fülle der göttlichen Herrlichkeit ist es, die vor dem Wandernden immer neue Höhen über den Abgründen aufsteigen läßt, die ihn zwingt zu sterben und neu geboren zu werden.

LeerSolch neues Land, solch neue Wirklichkeit erschaut und erfährt der Mensch an dem Tage, da er sich im Schoße seines Volkes findet. Die erste Geburt gibt uns in diese Welt hinein; die zweite geschieht, wenn der Mensch „ich” sagt und sich als Persönlichkeit empfinden lernt. Die dritte Geburt aber ist es, die sein Eigenleben, Recht und Kraft seiner Individualität hinausführt über ihn selbst. Sie heißt ihn zu den Wurzeln seines Lebens hinabsteigen und entdeckt ihm den mütterlichen Boden, der das wachsen und werden ließ, was er als sein Eigenstes empfand. Wenn wir einmal erkennen, daß wir Zweiglein und Blätter an einem Baum sind, wenn wir wissen, daß Wesen und Wert unseres eigensten und persönlichsten Lebens tief verwurzelt, begründet sind in einem überpersönlichen Lebenszusammenhang, dann hebt uns diese Erfahrung auf eine neue Lebensebene und erschließt uns eine neue Welt. Aus diesem Lebensreichtum schöpfen, an der Ordnung und Gestaltung dieses größeren Lebens teilnehmen, das heißt wahrhaft in der  M i t t e  des Lebens stehen.

LeerDie Völker machen die Menschheit aus. In ihrem eigentümlichen, besonderen, tausendfach voneinander unterschiedenen Dasein haben wir  e i n e n  Zugang zu dem Geheimnis des Lebens, zu dem Rätsel und Wunder der Schöpfung. Dieser Zugang aber ist nur dem offen, der die Wirklichkeit  s e i n e s  Volkes erfährt und in  s e i n e m  Leben steht, nicht dem, der sich frevelnd von ihr lösen will und die Fäden zerreißt, die ihn mit seinem Lebensursprung verbinden. Ja, in der Geburt des Volkes in jedem einzelnen werden wir überhaupt erst  M e n s c h .

LeerIst es nicht eine Selbstverständlichkeit und eine natürliche Tatsache, daß wir als Deutsche geboren sind? Bedarf das noch einer rühmenden Hervorhebung, des Lobens und Preisens? Ob wir es wollen oder nicht - ein jeder von uns, was und wie gesinnt er sei, spricht die deutsche Sprache, ist Deutscher - genügt das nicht? Niemals. Dem Menschen ist es gesetzt, mit Willen und Bewußtsein das uns natürlich Gegebene zu ergreifen, es als einen Wert zu erleben, als Aufgabe vor sich zu sehen. Darin vollendete Gott seine Schöpfung, daß er den Menschen schuf, der sie erkannte und aus ihr das heilige „noch nicht” vernahm, das ihn zu gestaltendem Leben, zum Handeln und Ringen aufrief. So ist es eine Forderung an uns, bewußt uns hineinzustellen in das Lebensganze unseres Volkes, uns in sein Wesen zu versenken, das die Geschichte in tausend Gestalten uns widerspiegelt. Wir werden Menschen nur, indem wir Deutsche werden.

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LeerNicht als ob das Volk die einzige Wirklichkeit wäre, die als große sinngebende Ganzheit uns umfängt, nicht als ob in ihm allein Anfang und Ende beschlossen wäre. Anfang ist allein Gott der Herr, Anfang seine Schöpfungstat. In dieser seiner Schöpfung ist auch das Volk nur ein Glied, eine Stufe, eine Ordnung unter und über anderen Ordnungen. Ende ist allein Gott der Herr, der alles in allem sein wird. Aber in der Mitte des Lebens, in der wir den Sinn unseres Lebens finden sollen, steht die Bindung, die uns das Dasein in  d i e s e r  Welt über die Begrenzung der Individualität hinaus erst  e r f ü l l t , die Wirklichkeit unseres Volkes. Aller Dienst an den Ideen, Werken und Zielen, die unser Leben sinnvoll machen in Familie, Beruf und Staat, in Wissenschaft oder Kunst, geht durch diese Mitte hindurch, empfängt in ihr eine besondere Art, einen Ton und Akzent, der ganz ursprünglich und eigenartig ist, wird hineingetaucht in Ernst und Innigkeit unseres Volkstums, Tiefe und Kraft des deutschen Lebensgefühls. Alles deutsche Leben in der Geschichte spricht darum urverwandt, heimatlich zu uns, weil es in unserer eigenen Seele lebt. Immer wieder uns selbst, unsere Aufgabe, unser Lebensziel aus ihm, immer wieder dieses deutsche Leben aus uns selben zu verstehen, ist unsere Pflicht.

LeerMein Volk führt mich hinaus über die enge Begrenztheit meines Ich.

LeerMein Volk zeigt mir die Wurzeln meines Lebens in ihm selber.

LeerIn meinem Volke, seiner Wesens- und Lebenstiefe werde ich selbst erst als Mensch geboren.

LeerDas geschieht, weil es mich einfügt in zwei Lebensordnungen, die sich mächtig über mich spannen, mich tragen und halten. Die erste ist die  G e m e i n s c h a f t . Ein Lebensrhythmus geht durch den Einzelnen hindurch, der sich nicht in ihm vollendet, sondern unendlich weit über ihn hinausgeht, in dem du und ich nur Glieder sind. Es ist der Lebensrhythmus der gegenwärtigen Gemeinschaft meines Volkes, in dem ich mitschwingen muß. Ihn nicht weiter tragen, ihn stören, zerbrechen, heißt das Leben der Gemeinschaft hemmen, in der allen miteinander und füreinander zu stehen geboten ist. Ernst und Strenge der Forderung, die die Gemeinschaft an uns richtet, macht das Volk mir lebendig. Weil es  m e i n  Volk ist, ist diese Strenge mir lieb und wert, nicht ein fremdes Gesetz, das kalt von außen an mich käme, sondern die Stimme und Sprache des eigenen Herzens. Gemeinschaft: das heißt Pflicht und Gehorsam, Dienst und Treue, Opfer und Liebe. Weil mein Volk mir das Leben gab, kann es mein Leben wiederum für sich fordern. Nur aus der tiefsten Verbundenheit kann dieses höchste Opfer gebracht werden. Nur durch diese Gemeinschaft hat der Tod für das Volk lebenzeugende Kraft.

LeerDie Gemeinschaft unseres Volkes ist aber nicht nur eine gegenwärtige, sondern auch eine  v e r g a n g e n e  und  z u k ü n f t i g e . Durch das Volk werde ich eingefügt in die Geschichte. Das ist eine neue Befreiung und Bereicherung meines Lebens. Indem wir Menschen eines Volkes sind, werden wir Glieder in der Geschichte. Wir stellen dies Volk mit dar; so allein wird unsere Existenz eine geschichtliche. Die Geschichte ist Berührung, Austausch, Kampf der Völker. Zu geschichtlichem Dasein erhoben, d. h. hineingestellt in den Lebenszusammenhang der Menschheit wird nur der, der die geschichtliche Aufgabe seines Volkes zu seiner eigenen macht und ihr an seinem Teile dient.

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LeerDamit wird vom persönlichen Leben des Menschen, der sich so gleichgültig und zufällig erscheinen muß im Strom der Zeit und der Geschlechter, diese Qual genommen; er ist durch sein Volk berufen, im Ganzen des geschichtlichen Kämpfens und Werdens mitzuleben und an ihm mitzuweben. So wächst der Einzelne ins Überindividuelle hinein; er gewinnt durch das Leben in der geschichtlich gewordenen und gegenwärtig werdenden, in die Zukunft sich hineinbauenden Gemeinschaft seines Volkes eine Begründung und Erhöhung seines Daseins, die er von sich aus und durch sich allein niemals hätte gewinnen können. In der Wirklichkeit des Volkes wird dem, für den sie ein begründendes Erlebnis wird, ein Tor aufgetan zu dem  t i e f e r e n   S i n n   u n s e r e s   L e b e n s.

LeerDas Volk ist zuerst  n a t ü r l i c h e   L e b e n s g e m e i n s c h a f t , d. h. Abstammungs- und Blutsgemeinschaft. So viel andere Elemente es in sich aufnehmen und verarbeiten kann, so hat es doch ein und denselben organischen Ursprung. Aber diese Kräfte wollen gebildet und geformt sein. Das Leben des Volkes ist Kampf um die Gestaltung seiner Anlagen und Kräfte. Es strebt zum Staate.

LeerVolk ist darum zuzweit  g e s c h i c h t l i c h - s i t t l i c h e   G e m e i n s c h a f t ; es müht sich, seinem Wesen, der Volkheit, Ausdruck und Lebensform in allen seinen Gliederungen und Teilen zu geben. Aber in diesem Ringen untersteht es den schweren und harten Gesetzen, die Gott seiner Schöpfung gab. Es gibt nicht nur Sünde und Tod im Leben des Einzelnen, sondern auch für die Völker. Sie können schwer an ihrer Sendung sich vergeben, wie unser Volk es getan hat; sie können untergehen und sterben, weil sie einen fremden Geist über sich Herr werden ließen oder nicht mehr des Zieles gedachten, das Gott seiner Schöpfung gesteckt hat.

LeerNur wo in einem Volke eine  G e m e i n s c h a f t   d e s   G l a u b e n s  betet und arbeitet, ist Heil und Vollendung für seine natürlichen Gaben und sein sittliches Ringen. Nur wo ein Volk als Glied der Schöpfung, als Glied der Geschichte sich vor Gott stellt, sich dem Herrn der Geschichte als  G a n z e s  verantwortlich weiß, wo es  V o l k s k i r c h e  ist, da ist die Möglichkeit, daß es wahrhaft lebe, das heißt: daß es sich erneuern könne. Die Liebe der Volksgenossen zueinander muß heilige Liebe sein; der Geist des Volkes heiliger Geist - in Dankbarkeit gegen die reiche Gabe der göttlichen Schöpfung und in treuem Dienste an ihr. So begreifen wir die Bedeutung unseres Volkes erst vom Glauben aus, der es der höchsten und letzten Wirklichkeit ein- und unterordnet, deren wir gewiß sind und deren wir warten, dem  R e i c h e   G o t t e s . Alle Völker, auch das unsere, sind sinnlose Zufälligkeiten, ihre Geschichte ist ein furchtbar dunkler Wirrwarr, wenn nicht der Schöpfung ein göttliches Ziel gesetzt ist, wenn nicht Gott eine Voll-Endung gibt. Er ist der Schöpfer  u n d  der Erlöser. Daß die Welt seine Schöpfung ist, weiß nur der, der den Erlöser und Vollender kennt.

Das Gottesjahr 1926, S. 94-97
© Greifenverlag Rudolstadt (Thür.)

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-12
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